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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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fröh­lich ki­chert. Ne­ben mir
auf ei­ner Bank sit­zen zwei Män­ner, von de­nen je­der dem an­de­ren er­klärt, warum
der an­de­re ver­rückt sei, oh­ne daß sie sich zu­hö­ren. Ei­ne Grup­pe von drei Frau­en
in ge­streif­ten Klei­dern be­gießt die Blu­men; schwei­gend glei­ten sie mit ih­ren
Zinn­kan­nen durch den Abend.
    Ich
hocke auf der Bank ne­ben dem Ro­sen­beet. Al­les ist hier fried­lich und rich­tig.
Nie­mand küm­mert sich dar­um, daß der Dol­lar um zwan­zig­tau­send Mark an ei­nem Tag
ge­stie­gen ist. Nie­mand er­hängt sich des­we­gen, wie in der Stadt ges­tern nacht
ein al­tes Ehe­paar, das heu­te mor­gen im Klei­der­schrank ge­fun­den wur­de – je­der an
ei­nem Stück Wä­sche­lei­ne. Au­ßer den bei­den war nichts mehr im Schrank; al­les war
ver­kauft und ver­setzt wor­den, auch das Bett und der Schrank selbst. Als der Käu­fer
die Mö­bel­stücke ab­ho­len woll­te, ent­deck­te er die To­ten. Sie hat­ten sich
an­ein­an­der ge­klam­mert und streck­ten sich die ge­schwol­le­nen blau­en Zun­gen
ent­ge­gen. Sie wa­ren sehr leicht, und man konn­te sie rasch ab­neh­men. Bei­de wa­ren
sau­ber ge­wa­schen, die Haa­re wa­ren ge­bürs­tet und die Klei­der ta­del­los ge­flickt
und sau­ber. Der Käu­fer, ein voll­blü­ti­ger Mö­bel­händ­ler, er­brach sich, als er sie
sah, und er­klär­te, den Schrank nicht mehr ha­ben zu wol­len. Erst abends än­der­te
er sei­ne Mei­nung und ließ ihn ab­ho­len. Die To­ten la­gen um die­se Zeit auf dem
Bett und muß­ten auch da her­un­ter­ge­nom­men wer­den, weil das Bett eben­falls
ab­ge­holt wur­de. Die Nach­barn lie­hen ein paar Ti­sche, und die al­ten Leu­te wur­den
nun dar­auf auf­ge­bahrt, die Köp­fe mit Sei­den­pa­pier ver­hüllt. Das Sei­den­pa­pier
war das ein­zi­ge ge­we­sen, was ih­nen in der Woh­nung noch ge­hört hat­te. Sie
hin­ter­lie­ßen einen Brief, in dem sie er­klär­ten, daß sie sich ei­gent­lich durch
Gas hät­ten tö­ten wol­len, aber die Gas­ge­sell­schaft hät­te es ab­ge­stellt ge­habt,
weil es zu lan­ge nicht be­zahlt wor­den war. Des­halb ent­schul­dig­ten sie sich bei
dem Mö­bel­händ­ler für die Um­stän­de, die sie ihm mach­ten.
    Isa­bel­le
kommt her­an. Sie trägt ei­ne kur­ze blaue Ho­se, die die Knie frei läßt, ei­ne
gel­be Blu­se und um den Hals ei­ne Bern­stein­ket­te. «Wo warst du?» fragt sie
atem­los.
    Ich
ha­be sie ein paar Ta­ge nicht ge­se­hen. Je­des­mal nach der An­dacht bin ich aus der
Kir­che ge­schlüpft und nach Hau­se ge­gan­gen. Es war nicht leicht, auf das
her­vor­ra­gen­de Abendes­sen und den Wein mit Bo­den­diek und Wer­ni­cke zu ver­zich­ten;
aber es war mir lie­ber, bei But­ter­bro­ten und Kar­tof­fel­sa­lat mit Ger­da mei­ne
Ru­he zu ha­ben.
    «Wo
warst du?» wie­der­holt Isa­bel­le.
    «Drau­ßen»
sa­ge ich ab­leh­nend. «Da, wo Geld die Haupt­sa­che ist.»
    Sie
setzt sich auf die Leh­ne der Bank. Ih­re Bei­ne sind sehr braun, als hät­te sie
viel in der Son­ne ge­le­gen. Die bei­den Män­ner  ne­ben mir se­hen un­mu­tig auf; dann
er­he­ben sie sich und ge­hen. Isa­bel­le glei­tet auf die Bank. «Wo­zu ster­ben
Kin­der, Ru­dolf?» fragt sie.
    «Das
weiß ich nicht.»
    Ich
se­he sie nicht an. Ich will nicht wie­der von ihr ein­ge­fan­gen wer­den; es ist
schon ge­nug, wie sie da­sitzt mit den lan­gen Bei­nen und der Ten­nis­ho­se, als
hät­te sie ge­ahnt, daß ich von jetzt an nach Ge­orgs Re­zept le­ben will.
    «Wo­zu
wer­den sie ge­bo­ren, wenn sie gleich wie­der ster­ben?»
    «Das
mußt du den Vi­kar Bo­den­diek fra­gen. Er be­haup­tet, Gott füh­re Buch über je­des
Haar, das von ir­gend­ei­nem Kopfe fällt, und al­les ha­be einen Sinn und ei­ne
Mo­ral.»
    Isa­bel­le
lacht. «Gott führt Buch? Über wen? Über sich selbst? Wo­zu? Er weiß doch al­les.»
    «Ja»,
sa­ge ich und bin plötz­lich sehr är­ger­lich, oh­ne zu wis­sen, warum. «Er ist
all­wis­send, all­gü­tig, ge­recht und voll Lie­be – und trotz­dem ster­ben Kin­der und
Müt­ter, die sie brau­chen, und nie­mand weiß, warum so viel Elend in der Welt
ist.»
    Isa­bel­le
wen­det sich mir mit ei­nem Ruck zu. Sie lacht nicht mehr. «Warum sind nicht al­le
Men­schen ein­fach glück­lich, Ru­dolf?»

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