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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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flüs­tert sie.
    «Das
weiß ich nicht. Viel­leicht, weil Gott sich sonst lang­wei­len wür­de.»
    «Nein»,
sagt sie rasch. «Nicht des­halb.»
    «Warum
denn?»
    «Weil
er Angst hat.»
    «Angst?
Wo­vor?»
    «Wenn
al­le glück­lich wä­ren, brauch­te man kei­nen Gott mehr.»
    Ich
se­he sie jetzt an. Ih­re Au­gen sind sehr durch­sich­tig. Auch ihr Ge­sicht ist
braun und schma­ler als frü­her. «Er ist nur für das Un­glück da», sagt sie. «Dann
braucht man ihn und be­tet. Des­halb macht er es.»
    «Es
gibt auch Men­schen, die zu Gott be­ten, weil sie glück­lich sind.»
    «So?»
Isa­bel­le lä­chelt un­gläu­big. «Dann be­ten sie, weil sie Angst ha­ben, daß sie es
nicht blei­ben wer­den. Al­les ist Angst, Ru­dolf. Weißt du das nicht?»
    Der
fröh­li­che Greis wird von der kräf­ti­gen Schwes­ter vor­über­ge­führt. Aus ei­nem
Fens­ter vom Haupt­ge­bäu­de kommt das ho­he Sum­men ei­nes Staub­sau­gers. Ich se­he
mich um. Das Fens­ter ist of­fen, aber ver­git­tert – ein schwar­zes Loch, aus dem
der Staub­sau­ger schreit wie ei­ne ver­damm­te See­le.
    «Al­les
ist Angst», wie­der­holt Isa­bel­le. «Hast du nie Angst?»
    «Ich
weiß es nicht», er­wi­de­re ich, im­mer noch auf der Hut. «Ich glau­be schon. Ich
hat­te sehr oft Angst im Krie­ge.»
    «Das
mei­ne ich nicht. Das ist ver­nünf­ti­ge Angst. Ich mei­ne die oh­ne Na­men.»
    «Wel­che?
Angst vor dem Le­ben?»
    Sie
schüt­telt den Kopf. «Nein. Frü­her.»
    «Vor
dem To­de?»
    Sie
schüt­telt wie­der den Kopf. Ich fra­ge nicht wei­ter. Ich will da nicht hin­ein.
Schwei­gend sit­zen wir ei­ne Zeit­lang in der Däm­me­rung. Wie­der ein­mal ha­be ich
das Ge­fühl, daß Isa­bel­le nicht krank sei; aber ich las­se es nicht auf­kom­men.
Wenn es auf­kommt, ist die Ver­wir­rung wie­der da, und ich will sie nicht.
Isa­bel­le rührt sich schließ­lich.
    «Warum
sagst du nichts?» fragt sie.
    «Was
sind schon Wor­te?»
    «Viel»,
flüs­tert sie. «Al­les. Hast du Angst da­vor?»
    Ich
den­ke nach. «Wahr­schein­lich ha­ben wir al­le et­was Angst vor großen Wor­ten. Es
ist so ent­setz­lich viel da­mit ge­lo­gen wor­den. Viel­leicht ha­ben wir auch Angst
vor un­sern Ge­füh­len. Wir trau­en ih­nen nicht mehr.»
    Isa­bel­le
zieht die Bei­ne auf die Bank. «Man braucht sie aber, Liebs­ter», mur­melt sie.
«Wie kann man sonst le­ben?»
    Der
Staub­sau­ger hat auf­ge­hört zu sum­men. Es ist plötz­lich sehr still. Kühl kommt
von den Bee­ten der Hauch der feuch­ten Er­de. Ein Vo­gel ruft in den Kas­ta­ni­en,
im­mer den­sel­ben Ruf. Der Abend ist plötz­lich ei­ne Waa­ge, die auf bei­den Sei­ten
gleich viel Welt trägt. Ich füh­le sie, als ba­lan­cie­re sie oh­ne Schwe­re auf
mei­ner Brust. Nichts kann mir ge­sche­hen, den­ke ich, so­lan­ge ich so ru­hig wei­ter
at­me.
    «Hast
du Angst vor mir?» flüs­tert Isa­bel­le.
    Nein,
den­ke ich und schütt­le den Kopf; du bist der ein­zi­ge Mensch, vor dem ich kei­ne
Angst ha­be. Auch nicht mit Wor­ten. Vor dir sind sie nie zu groß und nie
lä­cher­lich. Du ver­stehst sie im­mer, denn du lebst noch in der Welt, wo Wor­te
und Ge­füh­le eins und Lü­ge und Vi­si­on das­sel­be sind.
    «Warum
sagst du nichts?» fragt sie.
    Ich
he­be die Schul­tern. «Manch­mal kann man nichts sa­gen, Isa­bel­le. Und es ist oft
schwer, los­zu­las­sen.»
    «Was
los­zu­las­sen?»
    «Sich
selbst. Da sind vie­le Wi­der­stän­de.»
    «Ein
Mes­ser kann sich nicht selbst schnei­den, Ru­dolf. Wo­zu hast du Angst?»
    «Ich
weiß es nicht, Isa­bel­le.»
    «War­te
nicht zu lan­ge, Liebs­ter. Sonst ist es zu spät. Man braucht Wor­te», mur­melt
sie.
    Ich
ant­wor­te nicht. «Ge­gen die Angst, Ru­dolf», sagt sie. «Sie sind wie Lam­pen. Sie
hel­fen. Siehst du, wie grau al­les wird? Kein Blut ist jetzt mehr rot. Warum
hilfst du mir nicht?»
    Ich
ge­be mei­nen Wi­der­stand end­lich auf. «Du sü­ßes, frem­des und ge­lieb­tes Herz»,
sa­ge ich. «Wenn ich dir nur hel­fen könn­te!»
    Sie
beugt sich vor und legt die Ar­me um mei­ne Schul­tern.
    «Komm
mit mir! Hilf mir! Sie ru­fen!»
    «Wer
ruft?»
    «Hörst
du sie nicht? Die Stim­men. Sie ru­fen im­mer­fort!»
    «Nie­mand
ruft, Isa­bel­le. Nur dein Herz. Aber was ruft es?»
    Ich
füh­le ih­ren Atem über mein Ge­sicht we­hen. «Lie­be mich, dann ruft

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