Email ans Universum (German Edition)
joyceschen Betrachtung dieser Dualitäten zeigt sich (auf Seite 246) durch die Entstellung von „Shem und Shaun“ in „Yem und Yan“.
Yin und Yang sind die taoistischen Begriffe für den gepaarten Gegensatz, dessen angeborene Verbundenheit den gesamten Weltenprozess generiert. Yin ist weiblich, dunkel, intuitiv usw.; Yang ist männlich, hell, vernunftbetont usw. Keines kann ohne das andere existieren und beide sind Teile des Tao und beinhalten einen Teil des anderen in sich.
Die Einheit der Gegensätze, ein zentrales Thema des Taoismus, wird in Finnegans Wake früh dargestellt. Der allererste Auftritt von Shem und Shaun wird durch eine einzelne Figur dargestellt: „the Hindoo, Shimar Shin“ (Seite 10). Im weiteren Verlauf des Buches teilen sie sich in zwei Figuren auf, doch tauschen sie fortlaufend ihre Rollen und gehen ineinander über. (Zum Beispiel im Kapitel „School Lesson“, in welchem die für Shem typischen Bemerkungen, normalerweise auf der linke Seite, plötzlich auf der rechten Seite auftauchen und die für Shaun typischen Bemerkungen von der rechten zur linken Seite springen.) Im Disput von Mercius und Justius werden Shem und Shaun am Ende aufgesammelt und zusammen von ALP weggebracht. „Sonnies had a scrap 61 “, sagt sie dabei mit weiblicher Gelassenheit.
Die zwei Philosophen, die in Wake am häufigsten erwähnt werden, Nicholas von Cusa und Bruno von Nola, lehrten eine Dialektik der Auflösung von Gegensätzen. In seinem monumentalen Science and Civilization in China 62 erwähnt Joseph Needham wiederholt sowohl Bruno als auch Nicholas als die zwei einzigen Philosophen des Abendlands vor Leibniz, die einen grundsätzlich taoistischen Ansatz hatten.
Jeder feinfühlige Leser hat den Unterschied zwischen dem Humor in Ulysses und dem Humor in Finnegans Wake bemerkt. Während Joyce Ulysses schrieb, beinhaltete sein Vorhaben scheinbar eine wesentliche Komponente des Motivs, das er seinem Verleger gegenüber zum Ausdruck brachte, als er Dubliners beschrieb: „Irland das eigene hässliche Gesicht in einem Spiegel vorzuführen.“ Der Humor in Ulysses ist meist satirisch und negativ besetzt, wie der swiftsche Humor. Das freudige, rabelaisesche Element ist verhältnismäßig gering. Doch in Finnegans Wake ist der Humor nicht nur einem Rabelais ebenbürtig, auch einem Carroll: es besitzt diese Art von Unsinn und Kindlichkeit, welche nur die ganzheitlich Denkenden lange aushalten können.
Doch dieser Humor ist auch taoistisch. Gelehrte hegen mittlerweile den Verdacht, dass das Kapitel des konfuzianischen „Analects“ (Lun Yu), welches eine Beschreibung der Taoisten als Gruppe Verrückter beinhaltet, von einem taoistischen Schriftsteller eingeschoben wurde! Die unverschämt aufgekratzte, sehr unselbstbewusste Parodie von Joyce selbst im Kapitel „Shem the Penman“ zeigt die gleiche Art von Humor. Wahrscheinlich kann nur ein Ire diesen Text verstehen, der davon handelt, sich selbst um Christus Willen zu einem Narren zu machen, wie die Taoisten es verstehen würden. Joyce, dessen unglaubliches Genie Ortsnamen ersinnt wie „Wazwollenzie Haven“ und „Havva-ban-Annah“ (nicht zu vergessen „the bridge called Tilt-Ass“), veranschaulicht etwas, das außerhalb von Wake nur bei Lewis Carroll, Edward Lear und den Heiligen Schriften der Taoisten zu finden ist.
(„Das Tao ist im Misthaufen“, sagt Juang Jou.)
Für die Taoisten ist Humor das, was für Chesterton paradox war: eine Manifestation des Göttlichen. Dao fa tzu-ran: „Der Prozess geschieht soeben.“ (Die gesamte Passage liest sich folgendermaßen:
Ren fa di
Di fa tien
Tien fa Dao,
Dao fa tzu-ran
„Der Mensch wird durch die Erde geformt, die Erde wird durch das Universum geformt, das Universum wird durch den Prozess geformt, der Prozess geschieht soeben.“ Oder: „Der Prozess organisiert sich selbst.“) Kurz gesagt, resultiert Determinismus auf einer Ebene aus der Möglichkeit einer anderen Ebene, wie in der Thermodynamik.
Ob man dies so gebohnert und selbstbewusst hintergründig wie Whithead „Organizismus“ nennt oder Materialismus und dabei so selbstgerecht eingebildet wird wie die American Association for the Advancement of Atheism 63 , verfehlt man immer noch den Sinn. Dass das Tao soeben geschieht, es keinen Zweck und kein Ziel verfolgt, es keine Rücksicht auf den Egoismus des Menschen nimmt („Der Himmel behandelt uns wie Strohpuppen“, sagt Laotse) – stellt überhaupt keine schwermütige Philosophie dar.
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