Emerald: Hörspiel
doppelflügeligen Tür stehen. Kate wusste, dass sie vor dem Ballsaal standen. Sie sah die mit Spinnweben behangenen
Kronleuchter vor sich, die in ihrer Zeit auf dem Boden lagen, die verfallene Galerie, die zerbrochenen Fenster.
»Ihr bleibt hier«, befahl der Sekretär den Kreischern, deren gelbe Augen im Schatten glühten.
Cavendish beugte sich vor. Er war kaum größer als Kate und sein Atem stank nach Zwiebeln. Er war die widerwärtigste Person, der sie je begegnet war.
»Ich will euch einen guten Rat geben, meine Vögelchen: Verärgert die Gräfin nicht. Ihr wollt doch nicht aufs Schiff, oder? Kleine Vögelchen mögen das Schiff nicht.« Er verzog sein Gesicht zu einem grauzahnigen Lächeln.
»Sie müssten sich mal die Zähne putzen«, bemerkte Emma. »Und zwar ziemlich lange, sagen wir mal: ein Jahr lang.«
Cavendish zog die Lippen zusammen und runzelte die Stirn. Mit einer Kopfbewegung forderte er sie auf, ihm zu folgen, und stieß dann die Türen auf.
Es war, als würde man in einen Traum eintreten. Kate und Emma blinzelten ein paarmal, geblendet von dem Licht, und dann blinzelten sie noch einmal, weil sie nicht glauben konnten, was sie da sahen. Etwa hundert Paare schritten über den Tanzboden, drehten und wirbelten im Takt des Walzers, den ein dreißigköpfiges Orchester spielte. Kate sah, wie der Dirigent mit wedelnden Armen hin und wieder zu den Tanzenden blickte, wie ein stolzer Vater. Einige der Männer trugen einen Smoking mit langen Schößen, die hinter ihnen herflatterten, wenn sie sich mit ihren Partnerinnen im Kreis drehten. Andere waren in Uniform mit roten und blauen Schärpen und jeder Menge glänzender Orden an der Brust. Die Frauen trugen Kleider, die mit Rubinen, Smaragden und Perlen verziert waren. Und wohin Kate auch blickte, überall sah sie Diamanten auf nackten
Hälsen das Licht aus Tausenden von Kerzen brechen, die in den Kronleuchtern brannten. Ein Diener in grüner Livree und langen weißen Strümpfen ging mit einem Tablett voller Gläser vorbei und bot den älteren Herrschaften, die sich im Hintergrund aufhielten, Champagner an.
»Ihr Vögelchen wartet hier«, zischte Cavendish. »Die Gräfin wird kommen, wenn es ihr genehm ist.«
Und dann sah Kate sie. Das Gold ihrer Locken glänzte inmitten der tanzenden Menge. Ihre Haut war schneeweiß, ihr Kleid hatte die Farbe von Blut, und die Diamanten an ihrem Hals und auf ihrer Brust strahlten, als ob sie allein es wären, die den Raum erleuchteten. Sie tanzte mit einem athletischen jungen Mann in Uniform, der die mächtigsten Koteletten hatte, die Kate jemals gesehen hatte. Die Gräfin sagte etwas, und der junge Mann trat zurück und verbeugte sich. Sie erwiderte seine Respektsbezeugung mit einem kleinen Knicks und sprang, den Saum ihres Kleides graziös in die Höhe haltend, zwischen den Paaren hindurch dorthin, wo die Kinder neben dem eifrig hin und her zappelnden Cavendish standen.
Das Antlitz der Gräfin war von der Wärme und dem Tanz gerötet und ihre Augen funkelten lebhaft. Sie waren von einem tiefen, fast violetten Blau, und in dem Moment, in dem sie auf ihr zum Ruhen kamen, hatte Kate das Gefühl, der glücklichste Mensch auf Erden zu sein.
»Du bist da! Meine wunderschöne Katherine!« Die Gräfin nahm Kates Hände und küsste sie – noch ehe sie etwas sagen konnte – auf beide Wangen. Hinter ihr wirbelten die Tanzpaare im Gleichschritt über die Fläche. Es war ein schwindelerregender Anblick. »Und was für ein Glück, dass du gerade rechtzeitig für den Ball gekommen bist! Die Creme von St. Petersburg
ist hier. Selbst der Zar hat sich für später angekündigt, obwohl ich nicht glaube, dass er kommt, der Langweiler. Jetzt sag mir, meine Liebe«, und damit rückte sie näher an Kate und flüsterte ihr ins Ohr, »was hältst du von dem feschen Herrn, mit dem ich gerade getanzt habe?«
Der besagte junge Mann hatte die Tanzfläche verlassen und sich zu zwei anderen Männern in Uniform gesellt. Er stand stramm, die eine Hand an seinem Gürtel, mit der anderen über die Koteletten streichend.
»Das ist Hauptmann Alexei Markov vom dritten Husarenbataillon«, sagte die Gräfin mit einem verschwörerischen Flüstern. »Er bildet sich ein bisschen zu viel auf seine Koteletten ein, aber er ist trotzdem ein hübsches Tierchen. Wir werden eine kurze Affäre haben, aber sie wird unglücklich enden.« Sie seufzte theatralisch. »Alexei muss unbedingt bei seinen Freunden damit prahlen, und ich werde keine andere Wahl haben, als
Weitere Kostenlose Bücher