Emerald: Hörspiel
lächelnd. »Gehen wir hinaus auf die Veranda, einverstanden? Ich möchte ein wenig frische Luft schnappen. Und ich denke, ihr habt etwas für mich.«
Kate und Emma standen wartend neben dem Sekretär, während Michael der Gräfin in einen schwarzen Seidenumhang half. Kate beobachtete den Sekretär, hoffte auf ein Zeichen der Unaufmerksamkeit, irgendetwas, das ihr die Chance geben würde, das Buch an sich zu bringen. Sie hatte Emma schon flüsternd aufgefordert, das Foto bereitzuhalten.
Doch am meisten wünschte sie sich, ihre Hände würden aufhören zu zittern. Sie ballte sie zu Fäusten, aber das half nichts, und so schob sie sie in die Taschen, damit Emma sie nicht sehen würde. Sie wollte nicht, dass ihre Schwester merkte, wie verängstigt und verzweifelt sie war.
Der Sekretär murmelte dem kleinen Vogel auf seiner Schulter etwas zu und packte das Buch noch fester.
Plötzlich fühlte Kate, wie Emma ihre kleine Hand in ihre schob. Sie schaute zu ihr hin und sah das Gesicht ihrer Schwester zu sich emporgehoben, die dunklen Augen voller Vertrauen und Liebe.
Mit einer Stimme, die so leise war, dass nur Kate sie hören konnte, sagte Emma: »Alles wird gut.«
Kate dachte, das Herz müsse ihr zerspringen. Sie hatte immer gewusst, dass ihre Schwester stark war, aber sie war drei Jahre jünger als sie selbst. Und doch war in diesem Moment, als alle Hoffnung verloren schien, Emma diejenige, die ihr Halt bot.
»Kommt mit«, sagte die Gräfin und rauschte an ihnen vorbei zur Tür.
Sie führte sie auf eine steinerne Terrasse an der Rückseite des Hauses. Die Nacht war warm, die Luft schwer und süß vor Blumenduft. Drachen aus Glas in allen möglichen Farben hingen an den Bäumen und in ihren offenen Mäulern brannten Kerzen. Ein Porzellankrug stand auf einem Terrassentisch und daneben eine Kristallkaraffe mit einer dunklen Flüssigkeit.
»Bitte«, sagte die Gräfin und deutete auf die Stühle, die um den Tisch standen. »Ich bin gerne an einem Sommerabend im Freien. Vielleicht liegt es an meinem russischen Blut, das mich immer wieder daran gemahnt, dass der Winter niemals fern ist. Möchtet ihr Limonade? Sie ist nicht vergiftet, versprochen.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, goss der Sekretär einige Gläser ein, wobei er einen guten Teil der Flüssigkeit auf dem Tisch verschüttete.
So verängstigt und verwirrt Kate auch war, so konnte sie doch nicht umhin zu bemerken, dass ihr das alles schon vertraut war. Das Haus, die Ställe … Dies war der Ort, an dem sie wohnte, wenn auch erst seit kurzer Zeit. Und doch war sie sehr, sehr weit von zu Hause weg. Wieder warf sie dem Buch, das der Sekretär unter den Arm gesteckt hatte, einen Blick zu. Irgendwie musste sie es zurückbekommen.
Plötzlich wurde die Nacht von einem Schrei zerrissen. Kate spürte, wie Emmas Hand ihre eigene fester umklammerte. Der Schrei kam aus weiter Ferne, aus der Tiefe der Wälder.
Die Gräfin goss sich ein Glas der rubinroten, dicklichen Flüssigkeit ein, die sich in der Karaffe befand.
»Hin und wieder versuchen Frauen aus dem Dorf, zum Haus zu kommen. Zweifellos um ihre Bälger zu sehen. Man sollte
doch glauben, dass sie es irgendwann einmal begreifen. Sie haben keine Chance, an meinen Wachen vorbeizukommen.« Die Gräfin ließ die rubinrote Flüssigkeit in ihrem zierlichen Glas kreisen. »Die Morum Cadi – die ihr Kreischer nennt – sind schon erstaunliche Kreaturen. Sie werden niemals müde. Sie kennen weder Schmerz noch Furcht oder Mitleid. Ihr einziger Antrieb ist ihr Hass auf alle lebenden Wesen.« Sie setzte das Glas an die Lippen und leerte es in einem Zug.
»Wie haben Sie sie genannt?«, fragte Kate und verwünschte das Zittern in ihrer Stimme.
»Morum Cadi, die todeslosen Krieger«, sagte die Gräfin. »Obwohl ich zugeben muss, dass Kreischer ein passenderer Name ist. Sie haben vor Hunderten von Jahren gelebt, waren Menschen wie ihr, aber sie haben ihre Seelen für übermenschliche Macht und ewiges Leben eingetauscht. Was sie auch bekommen haben, in gewisser Weise.«
»Sie sind gar nicht so schlimm«, sagte Emma, »sie riechen nur ein bisschen streng.«
Die Gräfin lächelte nachsichtig. »Du bist eine tapfere kleine Lügnerin.« Sie schenkte sich noch ein Glas ein. »Man sagt, dass der Schrei der Morum Cadi der Schrei einer Seele ist, die entzweigerissen wird, wieder und wieder, bis in alle Ewigkeit. Einer allein ist schlimm genug, aber stellt euch Tausende von ihnen auf einem Schlachtfeld vor. Ich habe selbst
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