Emerald: Hörspiel
ihn und seine ganze Familie abzuschlachten.«
Kate lächelte. Und dann sah sie, wie Emma sie mit schreckgeweiteten Augen anstarrte. Dieser Anblick brachte sie schlagartig wieder zur Besinnung. Sie riss ihre Hand aus dem Griff der Gräfin; das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
Die Gräfin tat so, als hätte sie nichts bemerkt. Sie deutete mit ihrem Fächer auf einen sehr alten Mann mit einem weißen Backenbart, der in einem Sessel saß und schlief. Er trug so viele Orden an der Brust, dass er zur Seite gesackt war. Kate befürchtete, das Gewicht würde ihn gleich zu Boden plumpsen lassen.
»Darf ich euch meinen geliebten Gemahl vorstellen?«, sagte die Gräfin, und ihre Worte übertönten mühelos das Orchester. »Ich kann meinen Abscheu vor ihm nicht in Worte fassen. Und
wisst ihr, dass ich, als ich ihn im Alter von sechzehn Jahren ehelichte, als die größte Schönheit in ganz Russland galt? Kommt, gehen wir ein Stück.« Sie setzte sich in Bewegung, und Cavendish, der immer noch das Buch an sich gedrückt hielt, versetzte Kate und Emma einen Stoß, damit sie ihr folgten.
»Ich gebe zu«, sagte die Gräfin, die hier und da nach rechts und links nickte, »dass es Leute gab, die Natasha Petrovski mit ihrer sauermilchfarbenen Haut und diesen wässrigen Kuhaugen mir vorzogen. Aber das war, bevor sie diesen entsetzlichen Unfall mit einer Säureflasche hatte. Die Ärmste, ich hörte, sie verschied in einer Irrenanstalt in Ungarn, so verrückt wie ein Märzhase und immer wieder etwas von einer Hexe plärrend.« Die Gräfin kicherte, bedeckte ihren Mund mit dem Fächer und warf Kate einen Blick zu, der besagen sollte: Was bin ich doch für ein böses Mädchen.
»Aber wo war ich doch gleich? Oh ja, mein Gemahl … Als ich den Grafen ehelichte, sagten alle, dass er kaum mehr als sechs Monate zu leben hätte. Ich muss euch wohl nicht sagen, dass ich nicht vorhatte, ihn diese Zeit ausschöpfen zu lassen. Aber was soll ich euch sagen? Der alte Esel schaffte es doch tatsächlich noch fast ein ganzes Jahr! Er muss etwa ein halbes Dutzend Giftanschläge überlebt haben. Heiratet niemals einen pingeligen Esser, meine Lieben. Die machen nichts als Ärger.«
Keiner der Gäste schien die Kinder zu bemerken. Wenn die Mädchen, Michael oder der Sekretär ihnen zu nahe kamen, gingen die prächtig gekleideten Menschen einfach zur Seite, ohne sie direkt anzuschauen.
Die Gräfin stieß ein glockenhelles Lachen aus. »Schließlich ging ich zu einer alten Vettel und erstand von ihr Bienenatem, Bernsteinwurz und Weidenmehl. Das musste er nicht schlucken.
Er hat es im Schlaf eingeatmet und am nächsten Morgen war er so tot wie ein Bauer im Winter und hinterließ mir den größten Besitz im ganzen Zarenreich.« Sie wandte sich zu ihnen um. Das Gesicht glühte im Schein der Erinnerung und sie knickste tief. »Gestatten? Gräfin Tatiana Serena Alexandra Ruskin, zu euren Diensten.«
Kate und Emma starrten auf den blonden Scheitel vor ihnen. Michael beugte sich vor und flüsterte: »Es wäre höflich, wenn … «, aber Emma stieß ihm ihren Ellbogen in die Rippen. Kate dachte daran, wie sie die Gräfin das erste Mal gesehen hatten, wie sie ihnen fast zu schön vorgekommen war, zu strahlend, zu lebendig. Jetzt kannte Kate den Grund. Das alles war nicht wirklich. Die Gräfin war nicht sechzehn oder siebzehn. Wenn sie tatsächlich diejenige war, die sie zu sein behauptete, wenn sie schon gelebt hatte, als es noch einen Zaren in Russland gab, dann war sie gut und gerne hundert Jahre alt, wenn nicht noch älter. Die Magie hielt sie jung. Kein Wunder, dass es manchmal so schien, als würde sie die Rolle eines Teenagers nur spielen.
Die Gräfin erhob sich mit einem sanften Rauschen von Seide und schaute zu den Tanzenden.
»Ja«, sagte sie mit einem müden Seufzer, der einem Philosophen zur Ehre gereicht hätte, »dies war meine Welt. Ich hatte Reichtum, Einfluss, Schönheit. Einfaltspinsel, der ich war, dachte ich, dass ich tatsächlich etwas erreicht hätte. Aber ich hatte noch nicht begriffen, was wahre Macht bedeutet.« Sie klatschte in ihre Hände, die in Spitzenhandschuhen steckten, und alles verschwand: die Männer in Uniform und Smoking, die Frauen in ihren Ballkleidern, das Orchester, die Diener in der grünen Livree, das Licht von den Kronleuchtern – alles weg. Die Kinder standen allein mit der Gräfin und ihrem
rattenzahnigen Sekretär in dem großen, stillen Saal. Nur ein paar Kerzen flackerten an den Wänden.
»So«, sagte sie
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