Emerald: Hörspiel
Gegenleistung hat er euch hierhergelockt und euch mir ausgeliefert.«
Emma schnaubte. »Sie denken doch nicht ernsthaft, dass wir Ihnen das glauben! Sie haben ihn verhext!«
»Ich fürchte, nein. Dein Bruder hat mir aus freien Stücken geholfen.«
Alles an der Haltung der Gräfin sprach dafür, dass sie eine einfache Tatsache darlegte. Kate spürte, wie ein Eiszapfen in ihrem Herzen wuchs.
Emma schien das Gleiche zu denken, denn sie widersprach heftiger: »Nein, das ist nicht wahr! Das würde Michael niemals tun! Wir sind doch seine Schwestern! Nicht wahr, Michael, das würdest du uns doch nicht antun?«
Forschend blickte sie ihm ins Gesicht. Aber Michael starrte nur auf die Tischplatte.
»Sag’s ihnen, Michael«, forderte die Gräfin ihn mit leiser, aber fester Stimme auf. »Sag es deinen Schwestern.«
Kate hielt den Atem an. Nein, dachte sie. Bitte lass ihn unter einem Bann stehen!
Sehr leise sagte Michael: »Es stimmt.«
»Nein!« Emma packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn mit aller Kraft. »Nein! Du stehst unter einem Zauberbann! Ich weiß es genau! Es muss so sein! Das würdest du uns nicht antun!«
»Sei nicht zu hart mit ihm, Liebes«, sagte die Gräfin. »Ich habe in sein Herz geschaut und gesehen, was er sich am meisten wünscht. Er konnte nicht widerstehen.«
Emma weinte. Große, dicke Tränen kullerten über ihre Wangen.
»Seien Sie still! Sie lügen! Es gibt nichts, was Sie ihm geben könnten, damit er uns betrügt! Er ist unser Bruder! Sie wissen doch gar nichts! Sie sind nur eine böse Hexe! Sie …«
»Emma … «, fiel Kate ihr ins Wort.
»Nein!«, schrie Emma. »Er würde niemals … niemals …« Sie brach ab, vergrub den Kopf an Kates Schulter und schluchzte. »Er ist unser Bruder. Er würde niemals … niemals …«
»Die arme Kleine«, schnurrte die Gräfin. »Sie hat ziemlich schwache Nerven, nicht wahr?«
Kate funkelte sie an. Ihre Angst war wie weggewischt. Ihr ganzer Körper wurde mit einem Mal von einer weißglühenden Wut verzehrt. Sie wäre am liebsten über den Tisch gesprungen und hätte sie angeschrien, dass in all den Jahren, in denen sie nichts hatten, nicht einmal ein eigenes Bett, in denen sie von einem Waisenhaus zum anderen gereicht wurden, Emma niemals aufgegeben hatte. Sie hatte immer gekämpft. Denn sie wusste, dass ihr Bruder und ihre Schwester bei ihr sein würden, komme, was wolle. Sie waren ihre Familie, der einzige Fixpunkt in ihrem Leben. Und jetzt hatte die Gräfin ihr diese Sicherheit geraubt.
Kate schmeckte Salz und merkte, dass auch sie weinte. Sie wischte sich die Tränen ab und betrachtete das wunderschöne Geschöpf mit den violetten Augen ihr gegenüber. Insgeheim schwor sie sich, dass sie die Gräfin für das, was sie angerichtet hatte, töten würde, wenn sie jemals die Gelegenheit dazu bekam.
»Sag ihnen, was ich dir geboten habe«, forderte die Gräfin Michael auf.
Michael weinte ebenfalls, und seine Stimme klang, als hätte er einen Schluckauf. »Sie sagte, sie würde … sie finden.«
»Wovon redest du?!« Emma wirbelte herum, immer noch in Tränen aufgelöst, aber auch voller Wut. »Wovon?!« Sie fing an, ihn zu schlagen. Michael wehrte sich nicht; er wich ihren Schlägen auch nicht aus. »Irgendwelche blöden Zwerge will sie für dich finden? Ich hasse dich!«
Aber Kate begriff. »Sie hat dir versprochen, dass sie Mom und Dad finden würde.«
Emma hielt inne, die Hand immer noch zur Faust geballt. Sie war sprachlos. Mit wildem Blick starrte sie ihren Bruder an.
»Aber warum?«, fragte Kate flehend. »Warum hast du …?«
»Weil…« Michael schaute auf. Sein Gesicht war vom Weinen aufgequollen und seine Nase lief wie ein Wasserfall. » … weil … was ist, wenn sie nicht zurückkommen?«
Und da war sie. Die Befürchtung, die keiner von ihnen jemals ausgesprochen hatte. Selbst die Luft schien vor lauter Anspannung zu vibrieren. Nichts rührte sich. Kate wollte Michael anschreien und ihm sagen, dass er sich irrte, dass ihre Mutter ihr – Kate – ein Versprechen gegeben hatte. Sie sah, wie Emma sie mit großen Augen anstarrte, Augen, die sie anflehten, etwas zu sagen. Aber Michael, der einen Augenblick lang genauso erschrocken gewirkt hatte wie seine Schwestern, fing an, sich zu rechtfertigen.
»Du sagst, sie kommen wieder, aber was, wenn nicht?! Es sind schon zehn Jahre! Sie kann sie finden. Sie hat’s versprochen!« Er wandte sich zur Gräfin. Immer noch strömten ihm die Tränen über das Gesicht. »Tun Sie’s.
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