Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
sein, ihn vom Abgrunde zu entfernen; erst dann werden wir ihn wecken können, um ihm denselben aus der Ferne zu zeigen.
    Lesen, Einsamkeit, Müßiggang, weichliche und sitzende Lebensweise, Umgang mit Frauen und jungen Leuten, das sind die gefährlichen Abwege, auf die er in seinem Alter gar leicht geräth und die ihn unaufhörlich dicht neben der Gefahr erhalten. Durch andere sinnliche Gegenstände suche ich seine Sinnlichkeit von ihnen abzulenken. Dadurch, daß ich seinen Lebensgeistern eine andere Richtung vorzeichne, leite ich sie von derjenigen ab, die sie schon einzuschlagen anfingen. Durch stete Uebung seines Körpers in allerlei anstrengenden Arbeiten hemme ich die Lebhaftigkeit seiner Einbildungskraft, die ihn fortzureißen droht. Wenn die Arme unablässig arbeiten, so ruht die Einbildungskraft; wenn der Körper völlig ermüdet ist, fängt das Herz nicht Feuer. Die kürzeste und leichteste Vorsichtsmaßregel besteht darin, ihn der örtlichen Gefahr zu entrücken. Zunächst darf er seinen Wohnsitz nicht länger in Städten haben, auch trenne ich ihn von den Gegenständen, die ihn möglicherweise zu versuchen vermöchten. Das ist indeß noch nicht genügend; in welcher Wüste, in welcher Wildniß könnte er wol den ihn verfolgenden Bildern seiner Einbildungskraft entrinnen? Ihn nur von den gefährlichen Gegenständen trennen, ist ganz erfolglos, wenn ich nicht gleichzeitig dafür sorge, daß auch die Erinnerung an dieselben in ihm erblaßt. Wenn ich nicht die Kunst entdecke, ihn von Allem loszulösen, wenn ich ihn nicht von sich selbst ablenke, dann hätte ich ihn eben so gut lassen können, wo er war.
    Emil versteht ein Handwerk, aber hierbei nehmen wir nicht zu demselben unsere Zuflucht. Er liebt und versteht die Landwirthschaft, indeß die Landwirthschaft genügt uns hierbei nicht. Die ihm schon bekannten Beschäftigungen werden ihm zu einer rein äußerlichen Fertigkeit. Wenn er sich mit ihnen befaßt, so ist dies eben so gut, als thäte er nichts. Er denkt dabei an etwas ganz Anderes. Kopf und Arme sind auf ganz verschiedene Weise thätig. Fürihn ist jetzt eine ganz neue Beschäftigung nöthig, die ihm durch ihre Neuheit Interesse einflößt, ihn in Athem erhält, ihm gefällt, die ihm Mühe macht und mit körperlicher Uebung verbunden ist, kurz eine Beschäftigung, die ihn leidenschaftlich erregt und in der er fortan lebt und webt. Die einzige, welche mir alle diese Bedingungen in sich zu vereinen scheint, ist die Jagd. Wenn die Jagd je ein unschuldiges Vergnügen ist, wenn sie je für den Menschen paßt, so muß man jetzt seine Zuflucht zu ihr nehmen. Emil besitzt alle Eigenschaften eines tüchtigen Jägers; er ist kräftig, gewandt, geduldig, unermüdlich. Unfehlbar wird er Gefallen an dieser Uebung finden. Er wird sie mit dem ganzen Feuer seines Alters betreiben und dabei, wenigstens auf einige Zeit, die gefährlichen Neigungen verlieren, welche die Verweichlichung zur Folge hat. Die Jagd härtet Leib und Seele gleichermaßen ab. Sie gewöhnt an Blut, an Grausamkeit. Diana gilt als Feindin der Liebe, und diese Allegorie ist durchaus richtig. Das Schmachten der Liebe keimt nur im Schooße süßer Ruhe; heftige körperliche Bewegung erstickt die zärtlichen Empfindungen. In den Wäldern und in ländlichen Gegenden werden Liebende und Jäger von so verschiedenartigen Gefühlen beseelt, daß sie an die nämlichen Gegenstände ganz verschiedene Vorstellungen knüpfen. In den kühlen Schatten, den Hainen, den süßen Plätzen verschwiegener Liebe, die die Ersteren erblicken, sehen Letztere nur Weideplätze des Wildes, Schonungen und Wildlager; wo jene nur Schalmeien, Nachtigallen und Vogelgesang vernehmen, hören diese nur den Klang der Jagdhörner und Rüdengebell heraus. Dem Einen spiegelt ihre Phantasie Dryaden und Nymphen vor, den Anderen Jäger, Jagdhunde und Pferde. Macht mit diesen beiden Arten von Menschen einen Ausflug auf das Land hinaus, und ihr werdet an der Verschiedenheit ihrer Ausdrucksweise bald erkennen, daß ihnen die Erde nicht in demselben Lichte erscheint, und daß ihr Ideengang eben so verschieden ist, wie die Wahl ihrer Vergnügungen.
    Ich begreife, wie sich diese verschiedenen Geschmacksrichtungen auch wieder vereinigen können, und wie manschließlich Zeit für Alles findet. Indeß lassen sich die Leidenschaften der Jugend noch nicht auf solche Weise theilen. Gebt ihr eine einzige Beschäftigung, die ihr zusagt, und bald wird alles Uebrige vergessen sein. Die Mannigfaltigkeit der

Weitere Kostenlose Bücher