Emil oder Ueber die Erziehung
Man wird selten bemerken, daß Denker großes Gefallenam Spiele finden, da es die Eigenschaft hat, die Gewohnheit des Denkens zu unterbrechen, oder zu unfruchtbaren Berechnungen zu führen. Hierin zeigt sich auch eine der guten Folgen, die der Geschmack an den Wissenschaften hervorgebracht hat, und vielleicht die einzige, daß er nämlich diese schmutzige Leidenschaft einigermaßen dämpft; man wird sich lieber damit beschäftigen, den Beweis für den Nutzen des Spieles zu führen, als sich ihm selbst zu überlassen. Ich für meinen Theil würde mitten unter den Spielern wider das Spiel ankämpfen und mehr Vergnügen daran finden, sie auszulachen, wenn ich sie ihr Geld verlieren sähe, als es ihnen selbst abzugewinnen.
In meinem Privatleben wie im Umgange mit der Welt würde ich mir stets gleich bleiben. Nach meinem Wunsche müßte mein Vermögen überall Behaglichkeit verbreiten und nie ein Gefühl der Ungleichheit aufkommen lassen. In tausendfacher Hinsicht ist der Flitter des Putzes mit Unbequemlichkeit verbunden. Um mir unter den Menschen alle nur mögliche Freiheit zu bewahren, würde ich mich so kleiden, daß ich in jedem Stande an meinem Platze zu sein schiene, und man mich in keinem als nicht zu ihm gehörend betrachten könnte, daß ich ohne Ziererei und ohne eine Aenderung an meiner Kleidung vorzunehmen, in der Schenke für einen Mann aus dem Volke und im Palais-Royal als zur guten Gesellschaft gehörig gelten müßte. Da ich hierdurch mehr Herr über mein Benehmen wäre, würde ich mir die Vergnügungen aller Stände zugänglich machen. Es soll Frauen geben, die vor gestickten Manschetten ihre Thür verschließen und nur Personen in Spitzenmanschetten empfangen; deshalb würde ich meine Zeit anderswo verbringen. Wären diese Frauen indeß jung und hübsch, so könnte ich wol auch hin und wieder Spitzen anlegen, um allenfalls eine Nacht mit ihnen zu verleben.
Das einzige Band, welches meine Gesellschaften zusammenhielte, würde gegenseitige Zuneigung, Uebereinstimmung im Geschmack und Gleichheit der Charaktere sein. Ich würde als Mensch und nicht als Reicher in ihnen leben. Nie würde ich zugeben, daß ihr Reiz durch Eigennutz vergiftet würde. Wenn mein Reichthum noch einenRest von Menschlichkeit in mir zurückgelassen hätte, so würde ich meinen Diensten und Wohlthaten eine sehr weite Ausdehnung geben. Allein ich wünschte eben nur eine Gesellschaft und nicht einen Hof, wünschte Freunde und keine Schützlinge um mich zu sehen; deshalb würde ich nicht der Gönner, sondern nur der Wirth meiner Gäste sein. Die Unabhängigkeit und Gleichheit würde meinen freundschaftlichen Verhältnissen die ganze Reinheit des Wohlwollens lassen; und da, wo Verpflichtung und Eigennutz schweigen, gilt Vergnügen und Freundschaft als das einzige Gesetz.
Weder Freundschaft noch Liebe läßt sich erkaufen. Frauen kann man zwar leicht für Geld bekommen, aber auf diesem Wege wird man nie wahre Liebe finden. Liebe ist für Geld nicht käuflich, sondern wird von demselben vielmehr unfehlbar ertödtet. Wer Liebe bezahlt, wird, und wäre er der allerliebenswürdigste Mensch, schon aus dem einzigen Grunde, weil er bezahlt, nicht lange geliebt werden. Bald wird er für einen Anderen bezahlen, oder dieser Andere wird vielmehr mit seinem eigenen Gelde bezahlt werden, und bei dieser doppelten, aus Eigennutz, aus Wollust, ohne Liebe, ohne Ehre, ohne wahres Vergnügen angeknüpften Verbindung verscherzt das habgierige, untreue und elende Weib, das von dem Schändlichen, welcher von ihr Bezahlung annimmt, eben so behandelt wird, wie es den Thoren behandelt, welcher sie bezahlt, Beider wahre Zuneigung. Es würde süß sein, gegen den Gegenstand seiner Liebe den Freigebigen zu spielen, wenn sich nur nicht eine Art Kaufverhältniß daraus entwickelte! Mir ist nur ein Mittel bekannt, dieser Neigung gegen seine Geliebte nachzukommen, ohne die Liebe gleichzeitig zu vergiften. Es bleibt kein anderer Rath übrig, als ihr Alles zu geben und sich von nun an von ihr ernähren zu lassen. Ich möchte aber wol wissen, wo die Frau wäre, der gegenüber eine solche Handlungsweise nicht als ein sehr thörichtes Wagniß erscheinen müßte?
Jener Mann, welcher sich rühmte: »Ich besitze die Lais, ohne daß sie mich besitzt,« sprach ein Wort ohne Sinn. Der Besitz, welcher nicht auf Gegenseitigkeit beruht, ist sogut wie gar keiner; es ist höchstens der Besitz des Geschlechts, aber nicht der Person. Wo die Liebe nicht die Sittlichkeit zur Grundlage
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