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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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verwandelt, so würde ich sie vielleicht befriedigen, aber mit Scham, mit Erröthen vor mir selbst. Ich wurde mich dem Bedürfnisse nicht mit Leidenschaft hingeben, zur Befriedigung desselben meine Wahl auf eine möglichst geeignete Persönlichkeit lenken, und dabei würde es sein Bewenden haben; indeß würde ich aus meiner Schwäche keine Beschäftigung mehr machen, und vor Allem würde ich wünschen, daß es nur einen Zeugen derselben gäbe. Das menschliche Leben bietet andere Freuden dar, wenn ihm jene fehlen. Dadurch, daß man vergeblich nach den fliehenden hascht, beraubt man sich auch noch derer, welche uns geblieben sind. Laßt uns unsere Neigungen mit den Jahren ändern und die Lebensalter eben so wenig wie die Jahreszeiten verrücken; Jeder muß zu allen Zeiten er selbst sein und nicht wider die Natur ankämpfen. Die vergeblichen Anstrengungen sind für das Leben aufreibend und hindern uns, dasselbe recht anzuwenden.
    Das Volk langweilt sich nicht, es bringt sein Leben in Thätigkeit hin; sind seine Vergnügungen auch nicht sehr abwechselnd, so sind sie dafür selten. Nach vielen Tagen mühevoller Arbeit bereiten ihm seine wenigen Feiertage desto größere Genüsse. Die Abwechselung langer Arbeit mit kurzer Muße verleiht den Vergnügungen dieses Standes eine eigene Würze. Für die Reichen bildet die Langeweile eine furchtbare Plage; im Schooße so vieler mit großen Kosten erkaufter Vergnügungen, inmitten so vieler Leute, die nur darauf ausgehen, ihnen zu gefallen, verzehrt und tödtet sie die Langeweile. Ihr ganzes Leben hindurch fliehen sie vor ihr und fallen ihr wieder zur Beute. Sie vermögen ihre unerträgliche Last nicht abzuschütteln; namentlich werden die Frauen, die sich nicht mehr zu beschäftigen noch die Zeit zu vertreiben wissen, von ihr unter dem Namen »Vapeurs« aufgerieben. Sie nimmt ihnen gegenüber die Gestalt eines entsetzlichen Uebels an, das ihnen bisweilen den Verstand und am Ende wol gar dasLeben raubt. Ich meinerseits kenne kein traurigeres Loos als das einer hübschen Pariserin, ausgenommen das ihres Anbeters, der in ihren Fesseln schmachtet und sich, da er wie sie die Rolle eines müßigen Frauenzimmers spielen muß, auf diese Weise in doppelter Beziehung von seinem Stande entfernt, und dem nur die Eitelkeit, die Gunst seiner Dame erlangt zu haben, die Länge der trübseligsten Tage, die je eine menschliche Creatur ausgestanden hat, erträglich macht.
    Die Regeln der Schicklichkeit, die Moden, die Gebräuche, welche der Luxus und die vornehme Lebensweise herbeigeführt haben, zwängen das ganze Leben in die Schranken der widerwärtigsten Einförmigkeit ein. Jede Freude, die man in den Äugen Anderer genießen will, ist für Alle verloren: weder erkennen Andere sie als solche an, noch empfindet man sie selbst. [67] Die Lächerlichkeit, welche die allgemeine Meinung mehr als Alles fürchtet, geht ihr fortwährend zur Seite, um sie zu tyrannisiren und zu strafen. Man macht sich nie so lächerlich als gerade durch einmal feststehende Formen. Wer bei den Verhältnissen, in denen er sich bewegt, und bei seinen Vergnügungen eine gewisse Abwechselung zu beobachten versteht, verwischt heute den Eindruck, den er gestern hervorgebracht hat. Er verliert in den Augen der Menschen alle Bedeutung, aber er hat einen wirklichen Genuß, denn er ist zu jeder Stunde und bei allen Dingen mit ganzer Seele. Meine einzige feste Form würde die sein, daß ich mich in jeder Situation nie mit einer andern beschäftigen und jeden Tag für sich selbst genießen würde, unabhängig vom vorhergehenden und vom folgenden. Wie ich mich unter den niederenStänden als ein Glied derselben betrachten würde, so würde ich mich auf dem Lande zu den Bauern zählen, und wenn ich vom Ackerbau spräche, sollte der Landmann keine Gelegenheit haben, sich über mich lustig zu machen. Auf dem Lande würde ich mir keine Stadt erbauen, noch mitten in der Provinz Tuilerien vor meinem Zimmer aufführen. Am Abhange eines freundlichen schattenreichen Hügels würde ich mir ein Häuschen nach ländlicher Weise einrichten; weithin müßte es durch seine weiße Farbe und seine grünen Fensterläden sichtbar sein; und obgleich ein Strohdach für jede Jahreszeit das beste ist, so würde ich gleichwol, um meiner Wohnung ein freundlicheres Aeußere zu verleihen, zwar nicht dem düstern Schiefer, wol aber einem Ziegeldache den Vorzug geben, weil dasselbe ein saubereres und gefälligeres Ansehen hat als Stroh. Da man sich nun auch in

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