Emil oder Ueber die Erziehung
würde; und damit wäre ich auf die Stufe aller Anderen herabgesunken.
In einem Punkte würde ich mich jedoch, wie ich glaube, wesentlich von ihnen unterscheiden, darin nämlich, daß ich eher sinnlich und wollüstig als stolz und eitel sein, und daß ich mich in weit höherem Grade dem Luxus der Weichlichkeit als dem der Prunksucht überlassen würde. Es würde mich sogar ein gewisses Schamgefühl zurückhalten, meinen Reichthum allzu sehr zur Schau zu stellen, und ich würde immer glauben, einen Neidischen mir vor Augen schweben zu sehen, der, da ich ihn durch meinen Prunk in Schatten stellen würde, seinem Nachbar ins Ohr raunte: »Sieh einmal diesen Schuft! Welche entsetzliche Angst quält ihn doch, als Solcher erkannt zu werden.«
Aus der unermeßlichen Fülle von Gütern, welche die Erde bedecken, würde ich mir das aussuchen, was mir am angenehmsten wäre und was ich am besten in meinenBesitz zu bringen vermöchte. Aus dem Grunde würde die erste Anwendung meines Reichthums darin bestehen, daß ich mir Muße und Freiheit erkaufte. Diesen Gütern würde ich dann noch Gesundheit hinzufügen, wenn sich dieselbe erkaufen ließe. Da sie indeß nur für Mäßigkeit käuflich ist und es außerdem ohne Gesundheit keine wahre Lebensfreude gibt, so würde ich aus Sinnlichkeit mäßig sein.
Stets würde ich der Natur so nahe als möglich bleiben, um den Sinnen, die ich aus ihrer Hand empfangen habe, zu schmeicheln, da ich mich nicht gegen die Ueberzeugung zu verschließen vermag, daß ich desto wahreren Genuß finden würde, je mehr ich ihn aus der Natur schöpfte. Bei der Wahl zur Nachbildung bestimmter Gegenstände würde ich sie beständig zum Muster nehmen; bei der Befriedigung meiner Begierden würde ich ihr stets den Vorzug einräumen; in Sachen des Geschmacks würde ich sie stets zu Rathe ziehen; von den Speisen würden mir stets diejenigen am besten gefallen, zu deren Zubereitung sie selbst das Meiste beigetragen hat, und die durch die wenigsten Hände zu gehen brauchen, ehe sie auf unsern Tisch gelangen. Den Fälschungen, mit denen man uns zu täuschen sucht, würde ich vorbeugen; dem Vergnügen würde ich entgegenkommen. Meine thörichte und rohe Eßlust würde keinen Haushofmeister bereichern. Er sollte mir nicht für schweres Gold wie Gift wirkende Leckerbissen verkaufen. [64] Meine Tafel sollte gewiß nicht mit dem Prunk kostbaren Schmutzes und aus weiter Ferne herbeigeschafften Aases besetzt werden. Ich würde mich zur Befriedigung meiner Sinnlichkeit keine Mühe verdrießen lassen, weil diese Mühe schon an und für sich ein Vergnügen ist und das erwartete dadurch erhöht. Wäre ich auf ein Gericht vom äußersten Ende der Welt her lüstern, so würde ich lieber, wie Apicius, mich aufmachen, um es an Ort und Stelle zu genießen, als es mir kommen zu lassen; denn auch den ausgesuchtesten Speisen fehlt es stets an einer Würze, die man nicht gleichzeitig mit ihnen versenden kann und diekein Koch zu ersetzen vermag: die Luft des Klimas, welches sie hervorgebracht hat.
Aus demselben Grunde würde ich mir auch nicht an denen ein Beispiel nehmen, welche sich immer nur da wohl zu befinden glauben, wo sie nicht sind, und deshalb die Jahreszeiten unter einander und die Klimate mit den Jahreszeiten in Widerspruch setzen; welche, da sie im Winter den Sommer und im Sommer den Winter suchen, der Kälte wegen Italien und der Wärme wegen den Norden besuchen, ohne zu bedenken, daß sie die Strenge der Jahreszeiten, welcher sie zu entrinnen wähnen, gerade in den Gegenden antreffen müssen, wo man noch nicht gelernt hat, sich vor ihr zu schützen. Ich für meinen Theil würde entweder ruhig an meinem Wohnorte ausharren, oder gerade das umgekehrte Verfahren einschlagen; ich würde einer Jahreszeit Alles, was sie an Annehmlichkeiten darbietet, und einem Klima alles Besondere, was ihm eigenthümlich ist, abzugewinnen suchen. Ich würde eine Mannigfaltigkeit von Vergnügungen und Gewohnheiten in mir vereinen, die sich zwar unter einander nicht ähneln würden, aber stets mit der Natur im Einklange ständen. Den Sommer würde ich in Neapel, den Winter in Petersburg zubringen, bald hingelagert in einer kühlen Grotte Tarents, den sanften Zephir athmend, bald im hellerleuchteten Eispalaste, außer Athem und von den Vergnügungen des Balles ermattet.
Bei meinem Tafelgeräthe und der Ausschmückung meines Zimmers würde ich durch sehr einfache Verzierungen den Wechsel der Jahreszeiten bildlich darstellen, und mich an den
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