Emil oder Ueber die Erziehung
hat, ist an dem Uebrigen nicht viel gelegen. Nichts läßt sich so leicht finden als das. In diesem Punkte steht ein Maultiertreiber dem Glücke näher als ein Millionär.
O, wenn man im Stande wäre, die Inconsequenzen des Lasters genügend nachzuweisen, wie oft würde man sich da überzeugen können, daß sich der, welcher demselben fröhnte, trotz Erlangung des Begehrten, sehr verrechnet hat! Wo schreibt sich diese rohe Begierde her, die Unschuld zu verführen, eine junge Person, der man schützend hätte zur Seite stehen sollen, sich als Schlachtopfer auszusuchen, und sie mit diesem ersten Schritte unvermeidlich in einen Abgrund des Elends zu stürzen, aus der ihr nur der Tod Rettung bringen kann? Von viehischer Lust, Eitelkeit, Unverschämtheit, Verirrung und von nichts weiter. Sogar dieses Vergnügen ist nichts Natürliches, es beruht auf einem Vorurtheile und zwar auf einem Vorurtheile der verächtlichsten Art, weil es von der Selbstverachtung unzertrennlich ist. Wem sein Gefühl sagt, daß er der erbärmlichste unter den Menschen ist, der fürchtet den Vergleich mit jedem anderen, obgleich er als der beste gelten möchte, um weniger Verachtung einzuflößen. Ueberzeuget euch doch selbst, ob diejenigen, welche nach diesem eingebildeten Genusse am lüsternsten sind, je zu den liebenswürdigen jungen Männern gehören, ob sie wol werth sind, Gefallen zu erregen, und mehr Entschuldigung verdienen, wenn sie deshalb schwer zu befriedigen sind! Nein, bei einem gefälligen Aeußeren, bei wirklichem Werth und Gefühl fürchtet man die Erfahrung seiner Geliebten nur wenig. Voll gerechter Zuversicht sagt man zu ihr: »Du bist mit den Freuden zwar schon bekannt, gleich viel, mein Herz verheißt dir Genüsse, die du noch nie kennen gelernt hast.«
Allein ein alter, in Folge seiner Ausschweifungen abgelebter Satyr, ohne jegliche Anmuth, ohne Zurückhaltung, ohne Rücksicht, ohne irgend eine Spur von Ehrbarkeit, unfähig und unwürdig, irgend einem Weibe, welches mit liebenswürdigen Leuten Umgang gehabt hat, Gefallen einzuflößen,glaubt bei einer jungen Unschuld dies Alles dadurch ersetzen zu können, daß er sich ihre Unerfahrenheit zu Nutze macht und ihre noch schlummernde Sinnlichkeit wachruft. Ihm bleibt nur noch die eine Hoffnung übrig, durch die Neuheit zu gefallen. Unstreitig ist dies der geheime Beweggrund dieser seltsamen Neigung. Trotzdem täuscht er sich. Der Abscheu, den er erregt, ist nicht weniger natürlich als die Gelüste, die er erregen möchte. Auch in seiner thörichten Erwartung sieht er sich getäuscht; dieselbe Natur trägt auch dafür Sorge, ihre Rechte wieder zurückzufordern. Jedes Mädchen, welches sich verkauft, hat sich schon zuvor hingegeben, und da es dabei seiner eigenen Wahl gefolgt ist, so ist es doch im Stande, die Vergleichung, welche jener fürchtet, anzustellen. Er erkauft sich folglich nur ein eingebildetes Vergnügen und wird darum nicht weniger verabscheut.
Würden in mir, wenn ich zu Reichthum gelangte, auch noch so viele Veränderungen vorgehen, in einem Punkte würde ich mich sicherlich nie verändern. Vermöchte ich mir auch weder Sitte noch Tugend zu bewahren, so würde mir doch wenigstens einiger Geschmack, einige Vernunft, einiges Zartgefühl bleiben, und dies würde mich dagegen schützen, mein Vermögen wie ein Narr dazu anzuwenden, daß ich Hirngespinsten nachjagte und meine Börse und mein Leben erschöpfte, um mich dem Verrathe und dem Gespötte von Kindern auszusetzen. So lange ich jung wäre, würde ich die Vergnügungen der Jugend suchen, und da ich sie in ihrer ganzen Wollust genießen möchte, würde ich sie nicht in der Rolle eines reichen Mannes suchen. Bliebe ich, wie ich bin, so würde es freilich etwas Anderes sein. Ich würde mich kluger Weise auf die Vergnügungen meines Alters beschränken, würde nur an dem Gefallen finden, wovon ich wirklichen Genuß haben könnte, und alle Neigungen ersticken, die mir nur zur Qual wären. Ich würde meinen grauen Bart nicht dem höhnischen Gespötte junger Mädchen aussetzen, würde es nicht ertragen, wahrzunehmen, daß meine widerwärtigen Liebkosungen sie mit Ekel erfüllten und ihnen auf meine Kosten den Stoff zu den lächerlichsten Erzählungen lieferten, würde dieVorstellung nicht ertragen können, wie sie die abscheuliche Wollust des alten Affen schilderten, um Rache dafür an ihm zu üben, daß sie dieselbe hatten ertragen müssen. Hätten schlecht unterdrückte Gewohnheiten meine alten Lüste in Bedürfnisse
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