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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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muß man zu verhüten suchen, daß sie sich nicht an einer Sache übersättigen und dann voller Unbeständigkeit bald das Eine, bald das Andere ergreifen. Stets müssen sie fühlen, daß jedes Beginnen nur bis zu einer gewissen Grenze ausgedehnt werden darf; man gewöhne sie, sich mitten im Spiele ohne Murren unterbrechen zu lassen und etwas Anderes vorzunehmen. Schon die Gewöhnung thut hierin viel, da sie ja in dieser Beziehung nur eine Unterstützung der natürlichen Neigung ist.
    Ist der Zwang zur Gewohnheit geworden, so entsteht daraus eine Fügsamkeit des Geistes, welche den Frauen ihr ganzes Leben hindurch von großem Nutzen ist. Beständig sind sie ja entweder einem Manne oder dem Urtheile der Männer unterworfen, und nie dürfen sie sich über diese Urtheile hinwegsetzen. Die vornehmste und wichtigste Eigenschaft einer Frau ist die Sanftmuth. Dazubestimmt, einem Wesen zu gehorche», das in jeder Beziehung so unvollkommen ist und, wenn auch nicht immer geradezu Laster, so doch stets viele Fehler besitzt, muß die Frau schon früh, ohne sich zu beklagen, Ungerechtigkeit erdulden und die Härte eines Gatten ertragen lernen. Sie muß weniger seinetwegen als um ihrer selbst willen sanft sein. Verstimmung und Halsstarrigkeit der Frauen tragen nur dazu bei, ihre Leiden zu vergrößern und das Verhältniß zu dem Manne zu verschlimmern. Nicht mit diesen Waffen sollen sie über die Männerwelt zu siegen suchen. Der Himmel hat ihnen nicht deshalb jenes einschmeichelnde und bestrickende Wesen verliehen, um zänkisch zu werden, hat ihnen ihre Schwäche nicht gegeben, um sie als Mittel zur Erlangung der Herrschaft zu benutzen, hat sie mit ihrer sanften Stimme nicht zum Schmähen und Schelten und mit ihrem zarten Gesichtsausdruck nicht dazu ausgestattet, um ihn durch Ausbrüche des Zornes zu entstellen. Wenn sie sich ärgern, vergessen sie sich. Oft haben sie wol Recht, sich zu beschweren, sobald sie aber schmälen, ist das Unrecht stets auf ihrer Seite. Jedes muß den Ton seines Geschlechtes beibehalten. Zeigt der Mann zu viel Sanftmuth, so kann sich die Frau dadurch leicht zur Ungezogenheit verleiten lassen; sofern aber der Mann nicht völlig verkommen ist, wird ihn die Sanftmuth der Frau stets wieder auf den rechten Weg zurückbringen und früher oder später doch stets den Sieg davontragen.
    Die Töchter sollen also immer gehorsam, die Mütter jedoch auch nicht immer unerbittlich sein. Um ein junges Mädchen an Folgsamkeit zu gewöhnen, braucht man es nicht unglücklich zu machen; um es zur Sittsamkeit anzuhalten, braucht man nicht jedes Gefühl in ihm zu ertödten. Ich würde es im Gegentheile einem jungen Mädchen nicht verargen, wenn es hin und wieder eine kleine List anwendete, zwar nicht, um der Strafe für seinen Ungehorsam zu entgehen, sondern um der Notwendigkeit, gehorchen zu müssen, auf eine feine Art aus dem Wege zu gehen. Die Abhängigkeit braucht nicht gerade lästig und beschwerlich zu werden, es ist schon hinreichend, wenn man sich ihrer bewußt ist. Da nun die List eine natürlicheAnlage des weiblichen Geschlechts ist und nach meiner Ansicht alle Naturanlagen an und für sich gut und berechtigt sind, so glaube ich, daß man auch diese Anlage wie alle andern pflegen muß, nur soll man die Ausartung derselben verhüten. In Bezug auf die Richtigkeit dieser Bemerkung möchte ich mich auf das Urtheil eines jeden gewissenhaften Beobachters berufen. Von den Frauen müssen wir in diesem Punkte freilich absehen; sie haben vielleicht schon in Folge unserer zwangsvollen gesellschaftlichen Einrichtungen Gelegenheit und Anregung genug gehabt, ihren Geist zu schärfen. Wir wollen hier nur von den kleinen Mädchen reden, die gleichsam erst zu leben beginnen. Vergleicht man sie mit Knaben von gleichem Alter, so werden diese sicherlich gegen jene schwerfällig, unbeholfen und linkisch erscheinen. Ich will nur ein Beispiel anführen, um das verschiedene Benehmen beider Geschlechter in ihrer kindlichen Einfalt zu zeigen.
    Man pflegt den Kindern zu verbieten, bei Tische etwas zu fordern. Ich halte dies allerdings nicht für richtig, denn man soll die Kinder nicht mit unnützen Vorschriften überladen. Es ist ja leicht, ihnen einen Bissen von diesem oder jenem Gerichte zu gewähren oder zu verweigern. [5] Man martert dann wenigstens das arme Kind nicht mit seiner durch die Hoffnung gesteigerten Lüsternheit fast zu Tode. Bekannt ist nun die List eines kleinen Knaben, dem dies Gesetz ebenfalls auferlegt war, und der sich,

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