Emil oder Ueber die Erziehung
höherem Werthe. Und nun erscheinen die Kaufleute, die Kunsthändler, die Anbeter, die Dichterseelen, nun dreht sich das Geplauder um Verse, um Lieder und Flugschriften. Ohne den Putztisch ließe sich das unmöglich so schön mit einander in Einklang bringen. Der einzige wirkliche Gewinn, der dabei abfällt, besteht darin, daß man seinen Körper ein wenig mehr zur Schau stellen kann, als wenn ihn das neidische Gewand verhüllt. Indeß ist dieser Gewinn vielleicht doch nicht so groß, als man sich einbildet, und die Frauen stellen sich vor ihrem Putztische nicht in ein so vortheilhaftes Licht, als sie sich selber vorschwatzen. Ertheilet den Weibern ohne Bedenken eine weibliche Erziehung. Traget Sorge, daß sie an den Geschäften ihres Geschlechtes Gefallen finden, sich durch Sittsamkeit auszeichnen, ihrem Haushalte gut vorstehen und sich häuslich zu beschäftigen wissen. Die übertriebene Toilette wird dann von selbst fortfallen und die Frauen werden gleichwol stets nach dem besten Geschmack gekleidet sein.
Das Erste, was die jungen Mädchen beim Heranwachsen bemerken, ist, daß alle diese erborgten Reize nicht ausreichend sind, wenn sie nicht eigene besitzen. Schönheit kann man sich nie selber geben, und ein einnehmendes Wesen vermag man sich nicht so bald anzueignen. Aber man kann sich wenigstens bemühen, sich ein gefälliges Aeußere zu geben, seiner Stimme einen angenehmen Klang zu verleihen, sich in seiner Haltung zusammenzunehmen, einen schwebenden Gang zu erhalten, sich an anmuthige Stellungen zu gewöhnen und sich überall in seinem vorteilhaftesten Lichte zu zeigen. Die Stimme nimmt an Fülle zu, wird fest und klangvoll; die Arme runden sich, der Gang wird sicher, und man macht die Entdeckung, daß es eine Kunst gibt, sich, wie man auch immer gekleidet sein möge, bemerkbar zu machen. Von dem Augenblicke an handelt es sich nicht mehr blos um Nadel und Kunstfertigkeit; neue Talente kommen zum Vorschein und lassen ihren Nutzen schon in die Augen fallen.
Ich weiß, daß strenge Lehrer die Anforderung stellen,man solle die jungen Mädchen weder im Singen, noch im Tanzen oder in anderen gefälligen Künsten unterrichten. Dies Verlangen kommt mir lächerlich vor. Wen soll man denn ihrer Ansicht nach darin unterweisen? Etwa die Knaben? Für wen ist es wol am passendsten, sich diese Geschicklichkeiten zu erwerben, für die Männer oder für die Frauen? »Für Niemanden!« werden sie mir erwidern. »Jeder Gesang eines weltlichen Liedes ist ein Verbrechen. Der Tanz ist eine Erfindung des Teufels. Ein junges Mädchen darf nur an der Arbeit und am Gebet seine Freude finden.« Das sind allerdings merkwürdige Unterhaltungen für ein Kind von zehn Jahren! In mir steigt wenigstens die Befürchtung auf, daß alle diese kleinen Heiligen, welche, dem Zwange nachgebend, ihre Kindheit unter Gebet verleben, ihre reifere Jugend dafür ganz anderen Dingen widmen und sich nach ihrer Verheirathung alle Mühe geben werden, die Zeit, welche sie als Mädchen verloren zu haben glauben, aufs Beste wieder einzubringen. Ich huldige der Ansicht, man müsse auf Beides Rücksicht nehmen, auf das, was mit dem Alter, so wie auf das, was mit dem Geschlechte in Einklang steht; daß ein junges Mädchen nicht das Leben seiner Großmutter führen darf; daß es lebendig, heiter und muthwillig sein, nach Herzenslust singen und tanzen, und alle unschuldige Vergnügungen seines Alters genießen soll. Nur zu früh wird die Zeit da sein, wo es ein gesetztes Wesen und eine ernstere Haltung annehmen muß.
Beruht denn aber dieser Wechsel auf einer wirklichen Nothwendigkeit? Ist er nicht vielleicht auch schon eine bloße Folge unserer Vorurtheile? Dadurch, daß man den sittsamen Frauen nur solche ernste und alle Freude verscheuchende Pflichten auferlegte, hat man aus der Ehe Alles verbannt, was sie den Männern in einem freundlichen Lichte erscheinen lassen konnte. Kann es deshalb befremden, wenn die erkältende Stille, die sie in ihrem Hause herrschen sehen, sie von dannen treibt, oder wenn sie sich wenig versucht fühlen, sich eine so unbefriedigende Häuslichkeit zu schaffen? Dadurch, daß das Christenthum alle Pflichten zu hoch spannt, macht es sie selbst unausführbarund nutzlos. Durch Verbot des Gesanges, Tanzes und aller weltlichen Lustbarkeiten hat es den Frauen einen unfreundlichen und zänkischen Charakter eingeimpft, der sie in ihren Häusern unerträglich macht. Es gibt keine Religion, in welcher die Ehe mit so strengen Pflichten verbunden
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