Emil oder Ueber die Erziehung
z. B. zu einer unbegreiflichen Höhe getrieben ist, endlich zur Entartung des Geschlechts führen, und sicherlich zeigt das Wohlgefallen, das man daran hat, von keinem guten Geschmacke. Es ist doch durchaus nicht angenehm, eine Frau wie eine Wespe in zwei Stücke getheilt zu sehen; es beleidigt das Auge und verletzt die Einbildungskraft. Die Schönheit der Figur beruht wie alles Uebrige auf bestimmten Verhältnissen und Maßen; über dieselben hinauszugehen, ist sicherlich ein Fehler. Schon beim nackten Körper würde dieser Fehler ins Auge fallen; wie sollte er sich nun unter der Kleidung in Schönheit verwandeln?
Ich will nicht nach den Gründen forschen, weshalb die Frauen so hartnäckig darauf bestehen, sich zu panzern. Ein schlaffer Busen, ein aufgetriebener Leib u. s. w. sind, wie ich nicht läugnen kann, bei einem Mädchen von zwanzig Jahren nichts Schönes. In einem Alter von dreißig Jahren fällt dies indeß nicht mehr so auf. Da wir nun in jedem Alter, wir mögen wollen oder nicht, doch stets von der Natur abhängig sind, und sich überdies das Auge des Mannes hierin auch gar nicht täuschen läßt, so sind jene Mängel, das Alter sei, welches es wolle, nicht so unangenehm, als die alberne Ziererei einer Kleinen von – – vierzig Jahren.
Alles, was die Natur hemmt und einzwängt, ist das Ergebniß eines schlechten Geschmacks. Das hat sowol bei dem Schmucke des Körpers als bei der Ausbildung des Geistes seine Giltigkeit. Leben, Gesundheit, Vernunft, Wohlbefinden müssen über alles Andere gehen. Es gibt keine Anmuth ohne Ungezwungenheit; Zartheit ist nicht schmachtendes Wesen, und um Gefallen zu erregen, braucht man nicht krank zu sein. Leiden erregt Mitleid, aber Freude und Verlangen suchen die Frische der Gesundheit.
Den Kindern beiderlei Geschlechts fehlt es nicht an vielen gemeinsamen Vergnügungen, und so soll es auch sein. Haben sie dieselben denn nicht ebenfalls, wenn sie erwachsen sind? Aber es zeigen sich doch bald die eigenthümlichen Neigungen, welche sie unterscheiden. Die Knaben verlangen Bewegung und Lärm: Trommeln, Kreisel, kleine Wagen; die Mädchen haben ihre Freude mehr an dem, was das Auge besticht und zum Schmucke dient: an Spiegeln, Geschmeide, Flitterstaat, besonders aber an Puppen. Die Puppe ist das besondere Spielzeug dieses Geschlechtes, und hiermit bekundet das Mädchen ganz unzweideutig seinen Geschmack an seiner natürlichen Bestimmung. Von der Kunst zu gefallen kann es vorläufig nur das Aeußerliche, das Sinnliche, pflegen; dies besteht eben im Putz.
Man sehe und beobachte nur, wie ein kleines Mädchen den ganzen Tag mit seiner Puppe beschäftigt ist. Unaufhörlich verändert es deren Anzug, kleidet sie wol hundertmal an und aus und sucht immer neue Zierrathen, mögen sie nun passen oder nicht, darauf kommt es nicht an. Den Fingern gebricht es noch an der gehörigen Geschicklichkeit, der Geschmack hat sich noch nicht entwickelt, indeß zeigt sich doch schon die Anlage zur Entwickelungsfähigkeit. Bei dieser beständigen Beschäftigung verfließt dem Mädchen unbemerkt die Zeit, die Stunden vergehen, es weiß nicht wie; sogar das Essen wird vergessen, es hat mehr Verlangen nach Putz als nach Nahrung. Aber, so könnte man einwenden, es putzt ja seine Puppe und nicht sich selbst! Darin liegt allerdings eine gewisse Wahrheit. Vorläufig wendet es noch der Puppe seine ganze Aufmerksamkeit zu; für sich selber vermag es, da es seine volle Entwickelungnoch nicht erreicht hat, nichts zu thun; es hat bis jetzt dazu weder die nöthigen Talente noch die Kraft. Deshalb lebt und webt es nur in seiner Puppe und erschöpft seine ganze Gefallsucht an derselben. Aber es wird sich nicht immer darauf beschränken, es wartet nur auf den Augenblick, selber seine Puppe zu werden.
So zeigt sich also in diesem Spiele eine ganz entschiedene Neigung. Es kommt jetzt nur darauf an, derselben nachzugehen und sie auszubilden. Sicherlich würde die Kleine ihre Puppe herzlich gern ganz allein ausputzen, sich selber die Schleifchen, kleinen Tücher, Falbeln und Spitzen verfertigen. Sie fühlt sich in dieser Beziehung in so drückender Weise von der Gefälligkeit Anderer abhängig, daß ihr nichts angenehmer wäre, als sich durch eigene Kunstfertigkeit helfen zu können. Hieraus folgt, worin der erste Unterricht bestehen soll, den man kleinen Mädchen ertheilt. Man schreibt ihnen damit keine Arbeiten vor, sondern man erweist ihnen sogar einen Gefallen. Und in der That lernen sie fast Alle lieber mit
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