Emil oder Ueber die Erziehung
aber der Mann bildet. Beide stehen indeß in einem so abhängigen Verhältnisse zu einander, daß die Frau erst von dem Manne lernen muß, was sie sehen, und der Mann umgekehrt von der Frau, was er thun soll. Vermöchte die Frau eben so gut wie der Mann bis zu den Principien zurückzugehen, und wäre der Geist des Mannes eben so befähigt wie der der Frau, das Einzelne in sich aufzunehmen, so würden sie, da sie sich von einander völlig unabhängig fühlen müßten, in einem ewigen Zwiespalte leben, und ein geselliger Verkehr könnte zwischen ihnen überhaupt nicht bestehen. Aber in der Harmonie, welche nun zwischen ihnen herrscht, hat Jedes von ihnen das gemeinschaftliche Ziel im Auge; man weiß nicht, wer von ihnen am meisten dazu beiträgt; Jedes folgt dem Impulse des Anderen, Jedes gehorcht, und alle Beide sind Herren.
Schon deshalb, weil das Betragen der Frau der öffentlichen Meinung unterworfen ist, muß sich auch ihr Glaube der Autorität unterwerfen. Jede Tochter muß sich zu der Religion ihrer Mutter, jede Frau zu der ihres Mannes bekennen. Sollte sich diese Religion als eine falsche herausstellen, so wird die Folgsamkeit, mit welcher sich Mutter wie Tochter der Ordnung der Natur unterwerfen, vor Gott sicherlich die Sünde des Irrthums sühnen. Außer Stande, sich hierüber selber ein richtiges Urtheil zu bilden, müssen sie die Entscheidung der Väter und Ehemänner annehmen, als ginge sie von der Kirche selbst aus.
Da die Frauen unvermögend sind, ihre Glaubensregeln aus sich selbst zu schaffen, so ist es ihnen auch unmöglich, sie innerhalb der Grenzen des Gewissen und Vernünftigen zu halten. Tausenderlei fremdartigen Antrieben gehorchend, erreichen sie entweder das Wahre nicht, oder gehen weit über dasselbe hinaus. Sich immer in Extremen bewegend, sind sie entweder Freidenkerinnen oder Betschwestern, nie findet man, daß sich Klugheit und Frömmigkeit in ihnen paaren. Die Quelle dieses Uebels hat man nicht allein in dem überspannten Charakter ihres Geschlechts zu suchen, sondern eben so sehr in der schlecht geregelten Autorität des unsrigen. Die Lockerheit der Sitten muß unsere Autorität verächtlich, die von der Reue in uns gewirkte Angst sie tyrannisch machen. Darin liegt es, daß wir stets zu viel oder zu wenig thun.
Da sich die Religion der Frauen also auf die Autorität stützen muß, so handelt es sich nicht sowol darum, ihnen die Gründe für das, was man zu glauben hat, zu entwickeln, als vielmehr darum, ihnen den Inhalt des Glaubens klar und deutlich auseinanderzusetzen. Klarheit ist und bleibt die Hauptsache, denn der Glaube an dunkle Vorstellungen ist die erste Quelle des Fanatismus, während der Glaube, den man auf völlig Absurdes lenkt, zum Wahnsinn oder zum Unglauben treibt. Ich weiß nicht, ob unsere Katechismen mehr zur Gottlosigkeit oder zum Fanatismus beitragen, so viel weiß ich aber mit Gewißheit, daß sie nothwendigerweise zur einen oder zum andern führen müssen.
Wollt ihr junge Mädchen in der Religion unterrichten, so laßt es euch zur ersten Regel dienen, sie ihnen nie in einem trübseligen Lichte erscheinen zu lassen oder ihnen einen Zwang aufzuerlegen; eben so macht nie aus ihr eine Aufgabe oder eine Pflicht. Laßt sie aus diesem Grunde nie etwas auswendig lernen, was das religiöse Gebiet berührt, nicht einmal Gebete. Begnügt euch damit, euer Gebet regelmäßig in ihrer Gegenwart zu sprechen, ohne sie jedoch zur Theilnahme zu zwingen. Wählet kurze Gebete, wie Jesus selbst verlangt. Verrichtet sie mit der gebührenden Andacht und Ehrfurcht; bedenket, daß, wennwir vom höchsten Wesen verlangen, es solle uns aufmerksam anhören, dasselbe mit ungleich höherem Rechte von uns verlangen kann, wir sollen dem, was wir ihm sagen, unsere volle Aufmerksamkeit zuwenden.
Es ist von geringerer Wichtigkeit, daß junge Mädchen ihre Religion früh kennen lernen, als daß sie dieselbe richtig und gründlich kennen lernen, und daß sie sie vor Allem lieben. Wird sie ihnen durch eure Schuld zur Last, malt ihr ihnen Gott stets als ein über sie zorniges Wesen aus, legt ihr ihnen in seinem Namen tausenderlei beschwerliche Verpflichtungen auf, in deren Erfüllung sie euch selbst lässig sehen: welch anderer Gedanke kann dann in ihrer Seele aufsteigen, als daß Katechismuslernen und Gebetsprechen nur Pflichten junger Mädchen seien, welch anderen Wunsch können sie dann hegen, als erst erwachsen zu sein, um sich wie ihr dieses Zwanges überhoben zu sehen? Geht ihnen mit gutem
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