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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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wäre, und keine, in welcher eine so heilige Verbindung in solcher Verachtung stände. Man hat es sich so angelegen sein lassen, den Frauen alle Liebenswürdigkeit zu rauben, daß es endlich gelungen ist, die Ehemänner mit völliger Gleichgültigkeit gegen sie zu erfüllen. »Das sollen sie durchaus nicht,« höre ich versichern. Ich aber behaupte dem gegenüber, daß sie es absolut werden müssen, da am Ende die Christen doch auch nur Menschen sind. Ich für meinen Theil stelle die Forderung, daß eine junge Engländerin ihre fesselnden Gaben mit der gleichen Sorgfalt ausbilde, um ihrem künftigen Gatten zu gefallen, wie sie eine junge Albaneserin für den Harem zu Ispahan ausbildet. Die Ehemänner, wird man mir entgegenhalten, fragen nichts nach dergleichen Gaben und Eigenschaften. Gegen diese Wahrheit will ich mich nicht verschließen, wenn nämlich diese Talente leider nicht dazu angewendet werden, den Männern zu gefallen, sondern nur als Köder dienen, um junge Lüstlinge anzulocken, die nur darauf ausgehen, sie zu entehren. Allein meint ihr nicht auch, daß eine liebenswürdige und verständige Frau, welche sich dergleichen Talente zu erfreuen hätte und sie nur zur Unterhaltung ihres Mannes zur Geltung brächte, zum Glücke seines Lebens beitragen und ihn abhalten würde, seine Erholung auswärts zu suchen, wenn er nach anstrengender Kopfarbeit sein Zimmer verläßt? Sind euch denn keine Familien bekannt, in denen alle Glieder in so glücklichem Vereine neben einander leben und sich jedes bestrebt, seinen Antheil an der gemeinschaftlichen Unterhaltung zu tragen? Wer will wol auftreten und behaupten, daß in dem Vertrauen und in der mit demselben verbundenen Vertraulichkeit, in der Unschuld und in der Süßigkeit der Freuden, die sie uns gewähren, kein voller Ersatz für das geräuschvolle Treiben der öffentlichen Vergnügungen liegt?
    Man hat die gefälligen Talente in zu hohem Gradein Künste verwandelt, hat sie zu sehr zum Gemeingute zu machen gesucht, sie in Grundsätze und Regeln gekleidet und dadurch den jungen Mädchen das, was für sie nur Unterhaltung und heiteres Spiel sein soll, äußerst langweilig gemacht. Ich kann mir keinen lächerlicheren Anblick vorstellen, als den eines Tanzmeisters oder Gesanglehrers, wenn er jungen Mädchen, die so schon Alles lächerlich finden, mit sauertöpfischer Miene entgegentritt und nun beim Unterrichte in seiner nichtigen Kunst einen so pedantischen und schulmeisterlichen Ton anschlägt, als handelte es sich um eine Katechismuslehre. Ist zum Beispiel die Gesangeskunst etwa von der geschriebenen Musik abhängig? Sollte man nicht im Stande sein, die Stimme biegsam und klangvoll zu machen, geschmackvoll einen Gesang vortragen, ja selbst begleiten zu lernen, ohne auch nur eine einzige Note zu kennen? Eignet sich die gleiche Sangesweise für jede Stimme und die nämliche Methode für jede Auffassung? Man wird mich nie zu der Ueberzeugung bringen, daß dieselben Stellungen, dieselben Schritte, dieselben Bewegungen, dieselben Geberden, dieselben Tänze sich bei einer kleinen lebhaften und anziehenden Brünette und einer schlanken schönen Blondine mit schmachtenden Augen gleich anmuthig ausnehmen. Gewahre ich einen Lehrer, der alle Beide trotzdem genau in derselben Weise unterrichtet, so werde ich deshalb sagen: Dieser Mensch betreibt sein Geschäft mechanisch und handwerksmäßig, von einer Kunst ist jedoch bei ihm nicht die Rede.
    Man hat die Frage aufgestellt, ob die Erziehung der Mädchen von Lehrern oder Lehrerinnen geleitet werden müsse. Ich weiß es nicht. Mein Wunsch wäre, daß sie mit den Einen wie mit den Andern verschont blieben, daß sie zwanglos das lernten, wozu ihre Neigung sie hintriebe, und daß man in unseren Städten nicht unablässig so viele theatralisch aufgeputzte Ballettänzer umherhüpfen sähe. Ich halte mich überzeugt, daß den jungen Mädchen der Verkehr mit solchen Leuten eben so schädlich wie ihr Unterricht unnütz ist, und daß sich ihre Schülerinnen gerade zuerst durch die Ausdrucksweise, den Ton und das Benehmen derselben verleiten lassen, Geschmack an diesen Armseligkeitenzu finden, auf welche jene einen so hohen Werth legen, und welche sie nach dem Beispiele dieser ihrer Vorbilder nicht zögern werden, von nun an zu ihrer ausschließlichen Beschäftigung zu machen.
    In den Künsten, welche nur das gesellige Vergnügen bezwecken, kann Alles bei den jungen Mädchen Lehrerstelle vertreten: Vater, Mutter, Bruder, Schwester,

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