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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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ihren Einfluß verlieren und die Männer ihre Urtheile unbeachtet lassen! Es ist die tiefste Stufe der Versunkenheit. Alle gesittete Völker haben die Frauen geachtet. Seht Sparta, seht Deutschland, seht Rom an, Rom, diese Stätte des Ruhms und der Tugend, wenn sie überhaupt je auf Erden eine Heimat gehabt haben! In Rom war es, wo die Frauen die Thaten der großen Feldherren ehrten, wo sie die Väter des Vaterlandes öffentlich beweinten, wo ihre Huldigungen oder ihre Klagen in dem heiligen Ansehen des feierlichsten Urtheils der Republik standen. Alle große Staatsumwälzungen gingen hier von den Frauen aus: durch eine Frau errang Rom seine Freiheit, durch eine Frau erlangten die Plebejer das Consulat, durch eine Frau wurde der Gewaltherrschaft der Decemviren ein Ende gemacht, durch Frauen wurde Rom aus den Händen eines Verbannten gerettet. Ihr feinen Franzosen, was würdet ihr wol beim Anblicke dieses in euern Spötteraugen so lächerlichen Aufzuges gesagt haben? Mit Hohngelächter hättet ihr ihn begleitet. Mit wie verschiedenen Augen betrachten wir doch die nämlichen Dinge! Und vielleicht haben wir Alle Recht. Bildet ihr diesen Aufzug aus hübschen Französinnen, so kann ich mir keinen abstoßenderen Anblick vorstellen; laßt ihn aber aus Römerinnen bestehen, und ihr werdet Alle die Augen des Volsker und das Herz des Coriolan haben.
    Ich bleibe hierbei noch nicht einmal stehen, sondern behaupte sogar, daß die Tugend der Liebe eben so günstig ist wie all den übrigen Rechten der Natur, und daß die Geliebte dadurch in gleich hohem Grade an Ansehen gewinnt, als die Gattin und Mutter. Es gibt keine wahre Liebe ohne Begeisterung und keine Begeisterung ohne einen Gegenstand von wirklicher oder eingebildeter Vollkommenheit, die aber in der Phantasie stets vorhanden sein wird. Für was sollen die Liebenden glühen, welche an diese Vollkommenheit nicht mehr glauben und in ihren Geliebten nur Gegenstände ihrer Sinnenlust erblicken? Nein, nicht auf diese Weise erwärmt sich das Herz und gibt es sichdem Wonnerausche hin, welcher die beseligende Raserei der Liebenden und den Reiz ihrer Leidenschaft ausmacht. In der Liebe beruht freilich Alles, wie ich nicht läugnen kann, nur auf Illusion; aber in Wirklichkeit sind doch die Gefühle vorhanden, mit denen sie uns für das wahrhaft Schöne beseelt und dadurch bewirkt, daß wir dasselbe lieb gewinnen. Dies Schöne liegt nun allerdings gar nicht in dem Gegenstande, welchen man liebt, es ist vielmehr ein Ausfluß unserer Irrthümer. Mag es sein! Allein was hat das zu sagen? Bringt man deshalb weniger alle seine niederen Gefühle diesem geträumten Vorbilde zum Opfer? Wird unser Herz deshalb weniger von den Vorzügen erfüllt, mit welchen wir den Gegenstand unserer Liebe ausschmücken? Legen wir deshalb weniger alle Gemeinheit des menschlichen Ichs ab? Wo ist ein wahrer Liebender, der nicht bereit wäre, sein Leben für seine Geliebte zu opfern? Und wie kann von sinnlicher und grober Leidenschaft bei einem Menschen die Rede sein, welcher sterben will? Wir machen uns über die fahrenden Ritter lustig. Die Ursache liegt darin, daß sie die Liebe kannten, während wir nur die Ausschweifung kennen. Als ihre ritterlichen Grundsätze zu einem Gegenstande des Gespöttes wurden, war dieser Wechsel nicht sowol das Werk der Vernunft als vielmehr das Ergebniß der schlechten Sitten.
    Welches Jahrhundert wir auch betrachten mögen, die natürlichen Verhältnisse unterliegen niemals einem Wechsel, das Angemessene oder Unangemessene, was sich aus denselben ergibt, bleibt sich stets gleich, die Vorurtheile vermögen unter dem angemaßten Namen der Vernunft nur den äußeren Schein zu ändern. Selbstbeherrschung wird immer groß und schön sein, übte man sich in ihr auch nur, um eingebildeten Ansichten zu gehorchen; und die wahren Beweggründe der Ehre werden stets einer jeden urtheilsvollen Frau, welche das Glück ihres Lebens in ihrer Stellung zu suchen weiß, zu Herzen sprechen. Keuschheit muß vor Allem die köstlichste Tugend einer schönen Frau sein, welche nur einige Seelengröße besitzt. Während sie die ganze Welt zu ihren Füßen erblickt, feiert sie über Alle und über sich selbst Triumphe. In ihremeigenen Herzen errichtet sie sich einen Thron, dem Alle huldigend nahen. Die zärtlichen und eifersüchtigen, indeß stets ehrfurchtsvollen Gefühle beider Geschlechter, die allgemeine wie die eigene Achtung vergelten ihr die Kämpfe weniger Augenblicke mit stets neuem Ruhme. Ihre

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