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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Grundsätze, Abscheu vor ihren Gefühlen und Verachtung gegen ihre leeren Galanterien einflößt, so werdet ihr dadurch in ihnen einen edleren Ehrgeiz wachrufen, den, über große und starke Herzen zu herrschen, jenen Ehrgeiz der spartanischen Frauen, die nur Männer beherrschen wollten. Eine herausfordernde, sittenlose, intriguante Frau, die ihre Liebhaber nur durch Künste der Coquetterie anzulocken und durch Gunstbeweise zu erhalten weiß, legt ihnen wie Dienern allein niedrige und gemeine Dienste auf, bei allen wichtigen und ernsten Dingen fehlt es ihr dagegen an Autorität über dieselben. Allein eine eben so ehrbare wie liebenswürdige und verständige Frau, die den Ihrigen Achtung abnöthigt, sich durch ein zurückhaltendes und sittsames Wesen auszeichnet, mit einem Worte eine Frau, welche sich die Liebe durch die Achtung bewahrt, schickt ihre Liebhaber durch einen bloßen Wink bis ans Ende der Welt, in den Kampf, in den Ruhm, in den Tod, wohin es ihr gefällt. [16] Einesolche Herrschaft ist, wie mir scheint, doch schön, und es verlohnt sich der Mühe, sie zu erkaufen.
    Darin spricht sich der Geist aus, in welchem Sophie erzogen ist, mit größerer Sorgfalt als mit Mühe und mehr dadurch, daß man ihrer Neigung nachgab, als daß man sie bekämpfte. Fügen wir jetzt noch ein Wort über ihre Person nach dem Bilde hinzu, welches ich Emil von ihr entworfen habe. Es stimmt mit der Vorstellung überein, die er sich selbst von der Frau gebildet hat, welche ihn glücklich zu machen im Stande ist.
    Ich muß immer von Neuem daran erinnern, daß ich alle Wunder bei Seite lasse. Emil ist keines, und Sophie ist es eben so wenig. Emil ist Mann und Sophie Weib: darin besteht ihr ganzer Ruhm. Bei der Vermischung der Geschlechter, die unter uns herrscht, gilt es freilich beinahe für ein Wunder, dem seinigen vollkommen anzugehören.
    Sophie besitzt gute Anlagen und einen guten Charakter. Sie hat ein leicht erregbares Herz, und diese ungemeine Erregbarkeit verleiht ihr zuweilen eine Lebendigkeit der Phantasie, die sich nur schwer mäßigen läßt. Ihr Verstand ist weniger scharf als durchdringend, sie ist heiterer, aber sich nicht immer gleich bleibender Laune, von gewöhnlicher, aber einnehmender Figur, und von einer Gesichtsbildung, die Seele verheißt und hierin nicht täuscht. Man kann sich ihr mit Gleichgültigkeit nahen, aber nicht von ihr scheiden, ohne einen tiefen Eindruck von ihr erhalten zu haben. Andere zeichnen sich durch guteEigenschaften aus, die ihr fehlen; wieder Andere besitzen die ihrigen in weit höherem Maße, aber bei Keiner sind alle Eigenschaften besser zusammengestellt, um einen glücklichen Charakter zu bilden. Sie versteht sogar aus ihren Fehlern Vortheil zu ziehen, und wenn sie vollkommner wäre, würde sie weit weniger gefallen.
    Sophie ist nicht schön; aber neben ihr vergessen die Männer die schönen Frauen, und die schönen Frauen sind mit sich selbst unzufrieden. Auf den ersten Blick kann man sie kaum hübsch nennen, aber je länger man sie betrachtet, desto schöner erscheint sie. Sie gewinnt, wo so viele Andere verlieren, und was sie gewinnt, verliert sie nicht wieder. Man kann wol schönere Augen, einen schöneren Mund, eine imponirendere Figur finden, aber einen anmuthigeren Wuchs, eine schönere Hautfarbe, eine weißere Hand, einen niedlicheren Fuß, einen sanfteren Blick, freundlichere Züge sucht man vergeblich. Ohne zu blenden, fesselt sie. Sie ist reizend, ohne daß man sagen könnte, worin ihre Anziehungskraft besteht.
    Sophie putzt sich gern und versteht sich darauf; ihre Mutter hat keine andere Zofe als sie. Sie hat viel Geschmack und weiß sich deshalb vorteilhaft zu kleiden. Allein sie haßt alle reiche Putzsachen. In ihrem Anzuge vereinigt sich Einfachheit mit Eleganz. Sie liebt nicht das Glänzende, sondern das Kleidsame. Wenn sie auch die Modefarben nicht kennt, so weiß sie doch vortrefflich, welche Farben ihr gut stehen. Es gibt kein junges Mädchen, welches weniger Sorgfalt auf seinen Anzug verwendet zu haben scheint, und doch kleidet sich keines gewählter als Sophie. Obgleich sie kein Stück ihres Anzugs ohne volle Ueberlegung angelegt hat, so verräth sich doch bei keinem die aufgebotene Kunst. Ihr Putz ist dem Ansehen nach sehr bescheiden, in Wirklichkeit aber sehr gefällig und geschmackvoll. Sie stellt ihre Reize nicht zur Schau, sondern verhüllt sie, verbirgt sie aber so, daß man sie unter der Hülle zu ahnen vermag. Bei ihrem ersten Anblicke sagt man: »Was für

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