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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Entbehrungen sind nur vorübergehend, allein ihr Lohn ist ein bleibender. Welch eine Freude für eine edle Seele, wenn sich der Stolz der Tugend mit der Schönheit paart! Allen Romanheldinnen zum Trotze wird eine solche Frau köstlichere Freuden genießen als alle Lais und Kleopatra; und selbst wenn ihre Schönheit einst verschwunden sein wird, so werden doch ihre Freuden und ihr Ruhm noch bleiben. Nur einer solchen Frau kann die Vergangenheit Freude bereiten. [14]
    Je größer und lästiger die Pflichten sind, desto klarer und stärker müssen die Motive sein, die ihnen zu Grunde liegen. Es gibt eine gewisse fromme Sprache, deren man sich unaufhörlich, selbst bei den ernstesten Angelegenheiten, jungen Mädchen gegenüber bedient, ohne sie darum überzeugen zu können. Diese Sprache, welche mit ihren Anschauungen so wenig im Einklange steht, und der geringe Werth, den sie im Geheimen auf dieselbe legen, tragen wesentlich dazu bei, sich in ihnen jene Leichtigkeit entwickeln zu lassen, mit der sie sich ihren Neigungen hingeben, da es ihnen an Gründen zur Bekämpfung derselben fehlt, die sie aus der Sache selbst geschöpft hätten. Ein verständig und fromm erzogenes Mädchen besitzt unzweifelhaft starke Waffen gegen die Versuchungen; allein dasjenige, dessen Herz oder vielmehr dessen Ohren man ausschließlich mit solchem frommen Kauderwelsch erfüllt, wird unfehlbar die Beute des ersten geschickten Verführers, der es darauf anlegt. Nie wird ein junges und schönes Mädchen mit Geringschätzung auf seinen Körper blicken, nie wird es sich aufrichtig über die großen Sünden betrüben, zu welchen seine Schönheit verleitet hat, nie wird es aufrichtig vorGott beweinen, daß es ein Opfer der Lüsternheit wurde, nie wird es sich davon überzeugen können, daß das süßeste Gefühl des Herzens eine Erfindung des Satans ist. Gebt ihm andere innere Gründe, für die es ein Verständniß hat, denn diese werden bei ihm keinen Eingang finden. Noch schlimmer wird es aber, wenn man, wie es nicht selten vorkommt, seine Ideen mit einander in Widerspruch setzt, und nachdem man es dadurch gedemüthigt hat, daß man ihm seinen Körper und seine Reize wie vom Sündenschmutz befleckt schildert, von ihm gleich darauf verlangt, diesen nämlichen Körper als einen Tempel Jesu Christi heilig zu halten. Allzu hohe und allzu niedrige Ideen sind gleich unzulänglich und sind nicht im Stande, sich zu vereinigen. Es bedarf eines Grundes, der dem Geschlechte wie dem Alter angemessen ist. Die Achtung, die man der Pflicht schuldet, hat nur in so weit Kraft, als man ihr Beweggründe zugesellt, die uns zu ihrer Erfüllung antreiben.
    Quae quia non liceat non facit, illa facit . [15]
    (Die nur des Verbotes wegen etwas unterläßt, thut es endlich doch.)
    Man kann es sich kaum vorstellen, daß es gerade Ovid ist, welcher ein so strenges Urtheil fällt.
    Wollt ihr deshalb junge Mädchen mit Liebe zur Sittlichkeit erfüllen, so flößet ihnen, ohne ihnen beständig zuzurufen: »Seid sittsam«, das Verlangen ein, es zu werden. Macht ihnen den Werth der Sittsamkeit bewußt, und sie werden sie lieb gewinnen. Es ist nicht ausreichend, dies Verlangen erst für eine ferne Zukunft zu erwecken. Ueberzeugt sie im Hinblick auf die Gegenwart, auf die Verhältnisse ihres Alters, auf den Charakter ihrer Liebhaber, von wie großem Interesse es für sie ist, sittsam zu sein. Schildert ihnen den rechtschaffenen Mann, den Mann von Verdienst. Lehrt sie denselben kennen lernen und lieben und zwar um ihretwillen lieben. Beweist es ihnen, daß ein solcher Mann allein im Stande ist, sie glücklich zu machen, sei es nun in der Eigenschaft seiner Freundin,Gattin oder Geliebten. Rücket ihnen die Tugend auf dem Wege der Vernunft näher. Macht sie besonders darauf aufmerksam, daß die Herrschaft ihres Geschlechts und alle Vortheile desselben nicht allein von ihrer eigenen guten Aufführung, von ihrer eigenen Sittlichkeit, sondern ebenfalls von der der Männer abhängen; daß die Frauenwelt auf feile und niedrige Seelen nur einen geringen Einfluß auszuüben vermag, und daß der Mann nur dann seiner Geliebten wahrhaft huldigen kann, wenn er der Tugend huldigt. Wenn ihr ihnen dann eine getreue Schilderung der heutigen Sitten gebt, so könnt ihr euch versichert halten, daß ihr sie mit einem aufrichtigen Widerwillen gegen dieselben erfüllen werdet. Das einfache Bild unserer Modemenschen wird ihnen dieselben verächtlich machen. Sobald ihr ihnen nur Abneigung gegen ihre

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