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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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mit einer Verwirrung, die bei jeder andern Gelegenheit ein unwillkürliches Lächeln hervorrufen würde, tausendmal dasselbe; während Sophie, niedergeschlagen, bleich, mit traurigem Auge und trübem Blicke ruhig bleibt, kein Wort spricht, keine Thräne vergießt und Niemanden, nicht einmal Emil, anblickt. Obwol er ihre Hände ergreift und sie an sein Herz drückt, bleibt sie unbeweglich, unempfindlich für seine Thränen, unempfindlich auch für seine Liebkosungen und für Alles, was er thut. Für sie ist er schon geschieden. Wie viel rührender ist der sich darin aussprechende tiefe Kummer als das ungestüme Klagegeschrei und der lärmende Schmerz ihres Geliebten. Er sieht und fühlt es, es zerreißt ihm das Herz. Nur mit Mühe vermag ich ihn von ihr loszureißen. Zögere ich nur noch einen Augenblick, so fehlt es ihm an Kraft zu scheiden. Ich bin aufrichtig erfreut, daß er den Eindruck dieses traurigen Bildes mit sich nimmt. Sollte er sich je versucht fühlen zu vergessen, was er Sophie schuldig ist, so brauche ich ihn nur an ihr Bild im Augenblicke des Abschiedes zu erinnern: und sein Herz müßte schon ganz entartet sein, wenn es mir nicht gelingen sollte, ihn wieder zu ihr zurückzuführen.

Reisen.
    Man wirft die Frage auf, ob es für junge Leute gut sei zu reisen und streitet viel darüber. Würde man die Frage etwas anders stellen, etwa so, ob es gut sei, daß Männer gereist sind, so würde man vielleicht nicht so viel streiten.
    Der Mißbrauch, den man mit den Büchern treibt, ertödtet die Wissenschaft. Da man sich das, was man gelesen hat, zu wissen einbildet, so glaubt man der Anstrengung, es erst zu lernen, überhoben zu sein. Eine zu große Belesenheit erzeugt nur zu oft dünkelhafte Unwissenheit. Unter allen Jahrhunderten, in welchen man literarische Bildung pflegte, hat es kein einziges gegeben, in welchem man so viel las wie in dem gegenwärtigen, und kein einziges, in welchem man weniger Anspruch auf Gelehrsamkeit machen kann. [29] In keinem Lande Europas werden so viel Geschichtswerke und Reisebeschreibungen gedruckt wie in Frankreich, und trotzdem kennt man in keinem den Geist und die Sitten anderer Völker weniger als hier. Ueber dieser Menge von Büchern vernachlässigen wir das Buch der Welt, oder lesen wir noch darin, so hält sich Jeder an sein besonderes Blatt. Wenn mir die sprichwörtliche Redensart: »Kann man ein Perser sein« auch unbekannt wäre, so würde ich doch beim bloßen Anhören derselben sofort errathen, daß sie aus dem Lande stammt, in welchem sich die nationalen Vorurtheile am meisten der Herrschaft bemächtigt haben, und von dem Geschlechte, welches zu ihrer Verbreitung am meisten beiträgt. Ein Pariser wähnt die Menschen zu kennen, während er doch nur die Franzosen kennt. Obgleich seine Stadt fortwährend von Fremden wimmelt, betrachtet er doch jeden derselben als eine ganz ungewöhnliche Erscheinung, der in der ganzen Welt nichts Gleiches an die Seite gestellt werden kann. Man muß die Bürger dieser großen Stadt aus der Nähe gesehen, muß in ihrer Mitte gelebt haben, um es begreiflich zu finden, daß man bei so vielem Geisteeinen so hohen Grad von Dummheit besitzen kann. Es ist dies um so auffallender, als Jeder von ihnen vielleicht schon zehnmal die Beschreibung des Landes gelesen hat, dessen Bewohner ihm hier ein so großartiges Erstaunen abnöthigen. [30]
    Es heißt zu viel von uns verlangt, wenn wir, um die Wahrheit aufzufinden, uns zugleich über die Vorurtheile der Schriftsteller wie über unsere eigenen klar werden sollen. Ich habe viel Reisebeschreibungen in meinem Leben gelesen, habe aber noch nicht zwei gefunden, welche in mir dieselbe Idee von dem nämlichen Volke erweckt hätten. Als ich das Wenige, welches mir selbst zu beobachten möglich war, mit dem verglich, was ich gelesen hatte, hörte ich schließlich auf, mich ferner um Reisebeschreibungen zu bekümmern, und bedauerte aufrichtig die Zeit, die ich zu meiner Belehrung auf ihre Lectüre verwandt hatte, da ich der festen Ueberzeugung war, daß, will man Beobachtungen irgend welcher Art machen, man nicht lesen, sondern sehen muß. Selbst wenn alle Reisende aufrichtig wären, wenn sie nichts berichteten, als was sie mit eigenen Augen gesehen oder was sie für vollkommen wahr halten, und wenn sie die Wahrheit nur in den falschen Farben wiedergäben, welche dieselbe in ihren Augen annimmt, selbst dann schon hätte meine obige Behauptung ihren vollen Grund; um wie viel mehr aber erst, wenn man die

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