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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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kaum das zweiundzwanzigste zurückgelegt hast. Das ist das Alter für die Liebe, aber nicht für die Ehe. Was für einen Hausvater und eine Hausmutter würdet ihr abgeben! Um Kinder erziehen zu können, wartet wenigstens so lange, bis ihr selbst die Kinderschuhe ausgezogen habt. Weißt du, wie vielen jungen Frauen die Beschwerden einer zu früh eingetretenen Schwangerschaft den Körper geschwächt, die Gesundheit untergraben und das Leben verkürzt haben? Weißt du, wie viel Kinder kraftlos und schwach geblieben sind, weil sie in einem noch nicht völlig ausgebildeten Körper ihre erste Nahrung fanden? Wenn noch die Mutter eben so wie ihr Kind wachsen muß und sich deshalb der zum Wachsthum nothwendige Nahrungsstoff unter Zwei vertheilt; wenn also keines von ihnen das erhält, was ihnen nach der Bestimmung der Natur nöthig ist, wie ist es dann anders möglich, als daß Beide darunter zu leiden haben? Ich müßte dich sehr schlecht kennen, Emil, wenn ich dir nicht zutrauen sollte, daß du lieber später eine gesunde Frau und kräftige Kinder haben, als deine Ungeduld auf Kosten deiner Gattin und ihrer Gesundheit befriedigen möchtest.«
    »Ich will nur noch einige Bemerkungen in Bezug auf dich selbst anknüpfen. Hast du wol, da du dich nach dem Gatten- und Vaterstande sehnst, schon über die damit verknüpften Pflichten nachgedacht? Dadurch, daß du ein Familienhaupt wirst, trittst du auch zugleich in die Reihen der vollberechtigten Glieder des Staats ein. Was heißt das, ein Staatsglied sein? Weißt du es? Die Pflichten, die dir als Menschen obliegen, hast du studirt; kennst du aber auch deine bürgerlichen Pflichten? Weißt du, was Regierung, Gesetz, Vaterland zu bedeuten hat? Weißt du, um welchen Preis es dir zu leben gestattet ist, und für wen du sterben mußt? Du bildest dir ein, Alles gelernt zu haben und weißt eigentlich doch noch nichts. Bevor du eine Stellung in der bürgerlichen Ordnungeinnimmst, lerne letztere erst kennen und mache dich damit vertraut, welcher Rang dir in derselben gebührt.«
    »Emil, du mußt Sophie verlassen. Ich will damit nicht sagen, daß du sie aufgeben sollst. Wärest du dessen fähig, so würde sie sich nur glücklich preisen können, wenn sie sich nie mit dir vermählte. Du mußt sie verlassen, um ihrer würdig zurückzukehren. Gib dich nicht dem eitlen Wahne hin, du habest sie jetzt schon verdient. O, wie viel bleibt dir noch zu thun! Eile, diese edle Aufgabe zu erfüllen; lerne eine Trennung von ihr auszuhalten; gewinne den Lohn der Treue, damit du sie dir bei deiner Rückkehr vor ihr als Ehre anrechnen und ihre Hand nicht als eine Gnade, sondern als eine Belohnung begehren kannst.«

    Noch ungeübt gegen sich selbst anzukämpfen, noch ungewohnt, das Eine zu ersehnen und das Andere zu wollen, ergibt sich der junge Mann nicht sogleich. Er leistet Widerstand, er führt Gegengründe an. Weshalb sollte er dem Glücke entsagen, welches seiner wartet? Läge nicht in der Zögerung, die ihm dargebotene Hand anzunehmen, eine Verschmähung derselben? Wäre es denn wirklich eine absolute Notwendigkeit, sich von ihr zu trennen, um sich das anzueignen, was ihm noch zu wissen nöthig wäre? Und selbst dies zugestanden, weshalb sollte er ihr nicht in unlöslichen Banden das sichere Unterpfand seiner Rückkehr lassen? Sobald er erst ihr Gatte wäre, würde er sofort bereit sein, mir zu folgen. Nach ihrer Vereinigung könnte er sie ohne Furcht verlassen …. »Euch zum Zwecke eurer Trennung vereinigen, lieber Emil? Was für ein Widerspruch! Es ist schön, wenn ein Geliebter ohne seine Geliebte zu leben vermag, aber ein Gatte darf sein Weib nie ohne Noth verlassen. Sollen deine Bedenklichkeiten beseitigt werden, so muß der Aufschub deiner Ehe, wie ich mich jetzt überzeuge, nicht von dir ausgehen. Du mußt deiner Sophie sagen können, daß du sie nur gezwungen verläßt. Nun gut, gib dich zufrieden! Da du der Vernunft nicht gehorchen willst, so erkenne nun einen anderen Herrn an. Du hast gewiß nicht die Verpflichtung vergessen, die du mir gegenüber eingegangen bist. Emil, du mußt Sophie verlassen. Ich will es.«
    Bei diesem Worte senkt er den Kopf, bleibt stumm, hängt einen Augenblick seinen Gedanken nach und sagt darauf, indem er mich vertrauensvoll anblickt: »Wann reisen wir ab?« – »In acht Tagen,« entgegne ich, »denn wir müssen Sophie erst auf unsere Abreise vorbereiten. Die Frauen sind schwächer, weshalb man ihnen schonende Rücksicht schuldig ist, und da die Pflicht nicht

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