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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Häßlichkeit. DieEuropäer sind keine Gallier, Germanen, Iberier, Allobroger mehr. Sie sind sämmtlich, was ihre Gestalt und noch mehr was ihre Sitten anlangt, nur verschieden ausgeartete Skythen.
    Deshalb ließen auch die alten Rassenunterschiede, die Beschaffenheit der Luft und des Bodens ehemals das Temperament, die Gestalt, die Sitten und Charaktere der einzelnen Völker ungleich schärfer hervortreten, als dies in unseren Tagen der Fall ist, in welchen die europäische Unbeständigkeit keiner natürlichen Ursache Zeit läßt, eine Einwirkung auszuüben, und in welchen die Abholzung der Wälder, die Austrocknung der Sümpfe so wie die gleichmäßigere, obgleich schlechtere Bewirthschaftung des Bodens selbst in physischer Beziehung keine bemerkbare Verschiedenheit des Bodens und der Länder übrig lassen.
    Dergleichen Erwägungen sollten wol Ursache genug sein, daß man sich nicht so sehr beeilte, einen Herodot, Ktesias und Plinius deshalb lächerlich zu finden, weil sie die Bewohner verschiedener Länder mit Originalzügen und mit stark ausgeprägten Unterschieden darstellen, die wir an ihnen nicht mehr entdecken können. Um in ihnen dieselben Gestalten wiederzuerkennen, müßte man auch dieselben Menschen wiederfinden; damit sie sich aber immer gleich geblieben wären, hätte auch nichts sie verändern dürfen. Könnten wir alle Menschen, die je gelebt haben, auf einmal überschauen, würde es dann wol einem Zweifel unterliegen, daß wir an ihnen von einem Jahrhundert zum andern größere Unterschiede finden würden, als wir heut zu Tage zwischen den einzelnen Völkern wahrnehmen?
    Je schwieriger nun die Beobachtungen werden, desto nachlässiger und unzulänglicher werden sie angestellt; hierin liegt ein weiterer Grund zu dem geringem Erfolge unserer Forschungen in der Naturgeschichte des Menschengeschlechts. Die Belehrung, welche Reisen gewähren, wird von dem Reisezwecke bedingt. Ist dieser Zweck auf ein philosophisches System gerichtet, so sieht der Reisende nie etwas Anderes als das, was er sehen will. Handelt es sich dagegen um einen äußeren Gewinn, so nimmt er die Aufmerksamkeit derer, die nach ihm jagen, völlig in Anspruch. Der Handelund die Künste, welche die Völker in die innigste Berührung bringen und mit einander verschmelzen, hindern sie indeß auch, sich gegenseitig zu studiren. Kennen sie einmal den Vortheil, welchen ihnen ihr Verkehr abwirft, was brauchen sie dann noch mehr zu wissen?
    Es gereicht dem Menschen zum wesentlichen Nutzen, alle die Gegenden kennen zu lernen, in denen man leben kann, um im Stande zu sein, sich später diejenige auszuwählen, in der es sich am angenehmsten leben läßt. Wäre sich Jeder selbst genug, so wäre es ausreichend, wenn er den Umfang des Landes kennt, welches ihn zu ernähren vermag. Der Wilde, der Niemandes bedarf und nach nichts in der ganzen Welt Begehren trägt, kennt kein anderes Land als das seinige und sucht auch kein anderes kennen zu lernen. Sieht er sich um seiner Existenz willen genöthigt, sein Besitzthum zu erweitern, so flieht er die von Menschen bewohnten Gegenden; sein Verlangen ist nur auf Thiere gerichtet, weil er ihrer allein zu seinem Unterhalte bedarf. Was uns dagegen anlangt, denen das gesellschaftliche Leben zur Nothwendigkeit geworden ist und die wir eine Lust darin finden, uns gegenseitig verbluten zu lassen, so erheischt es das Interesse eines Jeden von uns, diejenigen Länder zu besuchen, in denen die meisten Menschen dicht bei einander wohnen. Deshalb strömt Alles nach Rom, Paris und London. In den Hauptstädten verkauft sich Menschenblut stets am billigsten. Auf diese Weise lernt man nur die großen Völker kennen, und die großen Völker gleichen sich alle unter einander.
    »Allein,« wendet man ein, »wir haben doch Gelehrte, die zu ihrer Belehrung Reisen unternehmen.« Das ist ein Irrthum. Die Gelehrten reisen wie alle Uebrige des Interesses wegen. Die Plato und Pythagoras sind ausgestorben, oder wenn es Solche gibt, halten sie sich weit von uns entfernt auf. Unsere Gelehrte reisen nur auf Befehl des Hofes. Man sendet sie aus, übernimmt die Kosten und gewährt ihnen außerdem ein reichliches Honorar, um diesen oder jenen Gegenstand in Augenschein zu nehmen, der ganz gewiß kein moralischer ist. Ihre ganze Zeit wird ausschließlich von diesem einzigen Gegenstandein Anspruch genommen, da sie viel zu rechtschaffene Leute sind, um ihr Geld zu stehlen. Wenn aber je in irgend einem Lande Wißbegierige auf eigene Kosten reisen,

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