Emil oder Ueber die Erziehung
Besitzthum nur eine kleine Meierei in irgend einem Winkel der Erde. Ich werde nur danach geizen, mit ihren Erträgen mich zu begnügen, und so werde ich ohne Unruhe leben. Sophie und mein Feld, und ich werde reich sein.«
»Ja, mein Freund, zu dem Glücke eines Weisen sind ein Weib und ein Feld hinreichend. So bescheiden diese Schätze aber auch sind, so sind sie gleichwol nicht so allgemein, wie du wol meinst. Der seltenste ist allerdings für dich gefunden, laß uns deshalb von dem andern reden.«
»Nach einem Felde also steht dein Wunsch, Emil! In welcher Gegend denkst du dir es auszuwählen? In welchem Erdwinkel wirst du sagen können: ›Hier bin ich mein eigener Herr und der unumschränkte Gebieter des Bodens, der mir gehört.‹ Man kennt wol die Orte, an welchen man sich leicht Reichthümer zu erwerben vermag, wer aber kennt die Stätten, wo man ihrer entbehren kann? Wer weiß, wo man unabhängig und frei leben kann, ohne daß man irgend Jemandem ein Leid zuzufügen oder von Anderen zu befürchten braucht? Wähnst du, daß das Land, welches uns gestattet beständig ein rechtschaffenes Leben zu führen, so leicht zu finden sei? Wenn es ein rechtmäßiges und sicheres Mittel gibt, sich ohne Ränke, ohne Streitigkeiten, ohne Abhängigkeit durch die Welt zu schlagen, sobesteht es, wie ich gern zugeben will, darin, daß man unter der Bewirtschaftung seines eigenen Grund und Bodens von seiner Hände Arbeit lebt. Wo aber ist der Staat, in welchem man sich sagen kann: der Boden, auf dem ich wandle, ist mein? Bevor du dieses glückliche Land erwählst, versichere dich wohl, daß du den Frieden, den du suchst, in der That in ihm findest. Sei auf deiner Hut, daß dort nicht eine gewaltthätige Regierung, eine verfolgungssüchtige Religion oder verderbte Sitten dein Glück stören. Stelle dich sicher vor unerschwinglichen Steuern, welche die Frucht deiner Arbeit verschlingen würden, vor endlosen Processen, welche dein Vermögen verzehren könnten. Triff Vorkehrungen, daß du bei einem ordentlichen Lebenswandel nicht nöthig hast Beamten und ihren Stellvertretern, Richtern, Priestern, mächtigen Nachbarn und Schurken jeglicher Art den Hof zu machen, die bei irgend einer Vernachlässigung stets bereit sein werden, dich zu quälen.«
»Vor allen Dingen sichere dich vor den Plackereien der Großen und Reichen. Bedenke, daß ihre Ländereien überall an Naboths Weinberg grenzen können. Will es das Unglück, daß ein höherer Staatsbeamte in der Nähe deiner Hütte ein Haus kauft oder baut, wer vermag dir dann dafür zu bürgen, daß er nicht ein Mittel ausfindig macht, zur Erweiterung seines Eigenthums dein Erbe unter irgend einem Vorwande an sich zu reißen, oder daß du nicht vielleicht schon morgen mit ansehen mußt, wie dein ganzes Besitzthum zur Anlage einer breiten Landstraße in Anspruch genommen wird? Wenn du dir nun auch so viel Einfluß bewahrst, um alle diese Unannehmlichkeiten von dir fern zu halten, dann gilt es nun auch noch, deinen Reichthum selbst zu bewahren, was mit nicht weniger Mühe für dich verbunden ist. Reichthum und Einfluß stützen sich gegenseitig; der eine hat ohne den andern nur kurzen Bestand.«
»Ich besitze eine größere Erfahrung als du, lieber Emil; ich durchschaue besser die Schwierigkeit deines Planes. Trotzdem handelt es sich um ein schönes und ehrenhaftes Vorhaben, welches bei seiner Ausführung in der That deinGlück begründen würde. Wir wollen deshalb Alles aufbieten, es ins Werk zu setzen. Ich habe dir einen Vorschlag zu machen: Laß uns die zwei Jahre, vor deren Ablauf du nicht heimzukehren gedenkst, zur Aufsuchung eines Zufluchtsortes in Europa benutzen, in welchem du mit deiner Familie glücklich und in Sicherheit vor all den erwähnten Gefahren leben kannst. Würde unser Suchen von Erfolg begleitet sein, so würdest du das wahre Glück gefunden haben, nach welchem so viele Andere vergebens jagen, und deine Zeit brauchte dich nicht zu gereuen. Hätte unser Unternehmen dagegen keinen glücklichen Erfolg, so würdest du doch aus deinem Traume erwacht sein; du würdest dich über ein unvermeidliches Unglück trösten und dich dem Gesetze der Notwendigkeit unterwerfen.«
Ich weiß nicht, ob alle meine Leser merken werden, wie weit uns diese in solcher Weise vorgeschlagene Nachforschung führen kann. So viel weiß ich aber bestimmt, daß, wenn Emil bei der Rückkehr von seinen unter einem solchen Gesichtspunkte begonnenen und fortgesetzten Reisen nicht mit Allem vertraut
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