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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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so geschieht dies doch nie in der Absicht, die Menschen zu studiren, sondern vielmehr sie zu belehren. Nicht um eine Vermehrung ihrer eigenen Gelehrsamkeit ist es ihnen zu thun, sondern um ein prahlerisches Auskramen derselben. Wie sollten sie also auf ihren Reisen das Joch der Meinung abschütteln lernen? Sie reisen ja nur, um ihr zu fröhnen.
    Es ist ein großer Unterschied, ob man reist, um Länder zu sehen, oder um Völker kennen zu lernen. Den ersten Zweck verfolgen stets die Neugierigen, von denen der andere als Nebensache betrachtet wird. Der Philosoph muß den umgekehrten Weg einschlagen. Ehe das Kind im Stande ist, die Menschen zu beobachten, beobachtet es die Dinge. Der Mann muß dagegen zuerst seine Mitmenschen beobachten; bleibt ihm dann noch Zeit übrig, mag er auch für die Dinge ein Auge haben.
    Daraus aber, daß wir gewöhnlich ohne Vortheil reisen, nun schließen wollen, daß die Reisen überhaupt unnütz seien, hieße einen Trugschluß machen. Folgt aber schon daraus, daß der Nutzen des Reisens zugestanden werden muß, daß es Jedem anzurathen ist? Weit gefehlt; es werden im Gegentheil nur sehr wenige Menschen daraus Nutzen ziehen. Es ist nur denen vorteilhaft, welche in sich selbst Festigkeit genug besitzen, die Lehren des Irrthums anzuhören, ohne von ihnen verführt zu werden, und das Beispiel des Lasters anzuschauen, ohne sich von demselben fortreißen zu lassen. Die Reisen bieten einen Anstoß, seinen Neigungen nachzugeben, und vollenden den Menschen im Guten wie im Bösen. Bei der Heimkehr von seinen Reisen ist Jeder so, wie er sein ganzes Leben hindurch bleiben wird. Es kehren nun weit mehr Schlechte als Gute zurück, weil bei der Abreise weit mehr zum Schlechten als zum Guten geneigt sind. Junge Männer, die eine schlechte Erziehung genossen haben und unter einer schlechten Leitung stehen, nehmen auf ihren Reisen alle Laster der Völker an, welche sie besuchen, aber keine einzige derTugenden, die sich neben diesen Lastern bei ihnen finden, während diejenigen, welche mit glücklichen Naturanlagen ausgestattet sind, diejenigen, deren guter Charakter sorgfältig entwickelt ist, und die in der That mit der aufrichtigen Absicht reisen, sich zu belehren, sämmtlich besser und weiser zurückkehren, als sie bei ihrer Abreise waren. So wird mein Emil reisen. So war auch jener eines besseren Jahrhunderts würdige junge Mann gereist, dessen Verdienste das erstaunte Europa bewunderte, der in der Blüte seiner Jahre für sein Vaterland starb, der aber fortzuleben verdiente und dessen nur mit feinen Tugenden geschmücktem Grabe die Ehre zu Theil werden sollte, daß eine fremde Hand es mit Blumen bestreute. [33]
    Alles, was aus bestimmten Beweggründen geschieht, muß seine Regeln haben. Wenn die Reisen als ein Theil der Erziehung gelten sollen, müssen sie ebenfalls an besondere Regeln geknüpft sein. Reisen, nur um zu reisen, heißt umherschweifen, heißt sich umhertreiben. Mit dem Ausdrucke »Reisen zum Zwecke der Belehrung« läßt sich auch nur ein unbestimmter Begriff verbinden. Der Unterricht, der nicht einen bestimmten Zweck hat, ist werthlos. Ich wünschte in dem jungen Manne ein fühlbares Interesse zu erregen, sich zu unterrichten, und dieses richtig gewählte Interesse würde auch noch auf die Natur des Unterrichts bestimmend einwirken. Das ist beständig die Folge der Methode, die ich mich in Ausführung zu bringen bemühe.
    Nachdem sich Emil nach seinen physischen Beziehungen zu den andern Wesen so wie nach seinen moralischen Beziehungen zu seinen Mitmenschen kennen gelernt hat, bleibt ihm nur noch übrig, sich auch über seine socialen Beziehungen zu seinen Mitbürgern zu belehren. Zu diesem Zwecke muß er zuerst das Wesen der Regierung im Allgemeinen, ferner die verschiedenen Regierungsformen und endlich die besondere Regierung, unter welcher er geborenist, studiren, um zu erkennen, ob sie so angemessen für ihn ist, daß er auch weiter unter ihr leben kann. Denn nach einem unumstößlichen Rechte darf Jeder, sobald er mündig und sein eigener Herr geworden ist, sich von dem Vertrage, der ihn zu einem Gliede des Staates macht, lossagen, indem er das Land verläßt, welches jener in Besitz hat. Nur aus dem Aufenthalte, welchen er nach seinem Eintritt in das Alter der Vernunft in demselben nimmt, läßt sich der Schluß ziehen, daß er stillschweigend auf die Verpflichtung eingegangen ist, welche seine Vorfahren übernommen haben. Er erlangt das Recht, eben so wol seinem Vaterlande wie dem

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