Emil oder Ueber die Erziehung
Regierung, machen wir den Fürsten zum Souverain und die Bürger zu eben so vielen obrigkeitlichen Personen, so wird der Corpswille, der dann vollkommen in dem allgemeinen Willen aufgeht, nicht mehr Wirksamkeit als dieser haben und die Gewalt des besonderen Willens nicht zu schwächen vermögen. Daher wird dann die Regierung, trotzdem sie immer noch mit der gleichen absoluten Gewalt ausgerüstet ist, den geringsten Grad von Wirksamkeit entfalten.
Diese Grundsätze sind unbestreitbar und auch noch andere Betrachtungen dienen zu ihrer Bestätigung. So kann man die Beobachtung machen, daß die obrigkeitlichen Personen in ihrer Körperschaft eine weit größere Thätigkeit entwickeln als die Bürger in der ihrigen, und daß demgemäß der besondere Wille einen weit größeren Einfluß in letzterer ausübt. Denn jede obrigkeitliche Person ist fast regelmäßig mit irgend einer besonderen Funktion derRegierung beauftragt, während kein Bürger für sich mit einer Function der Souverainität betraut ist. Mit der Ausdehnung des Staates nimmt übrigens seine wirkliche Gewalt zu, wenn sie auch nicht nach Verhältniß seiner Ausdehnung wächst. Wenn aber der Staat derselbe bleibt, so wird die Regierung auch durch die Vermehrung der obrigkeitlichen Personen keine größere wirkliche Gewalt erhalten, weil sie die Inhaberin der Staatsgewalt ist, die, wie wir ja voraussetzen, stets gleichmäßig ist. Deshalb nimmt die Wirksamkeit der Regierung in Folge dieser großen Zahl ab, ohne daß sich ihre Gewalt vergrößern kann.
Nachdem wir uns nun davon überzeugt haben, daß die Regierung in dem Maße schwächer wird, in welchem die Zahl der obrigkeitlichen Personen zunimmt, und daß sich die zügelnde Gewalt der Regierung um so mehr erhöhen muß, je mehr die Volkszahl wächst, so werden wir den Schluß ziehen, daß das Verhältniß der obrigkeitlichen Personen zur Regierung das umgekehrte von dem der Unterthanen zum Souverain sein müsse, d. h. daß sich die Regierung, je mehr sich der Staat vergrößert, um so mehr concentriren muß, so daß sich die Zahl der Oberhäupter nach Maßgabe der Volkszunahme vermindert.
Um nun diese Verschiedenheit der Formen unter festen Benennungen genauer zu bestimmen, wollen wir zunächst bemerken, daß der Souverain die Regierung dem ganzen Volke oder doch dem größten Theile desselben dergestalt übertragen kann, daß es mehr mit obrigkeitlicher Macht bekleidete Bürger als einfache Privatleute gibt. Dieser Regierungsform gibt man den Namen Demokratie.
Aber eben so gut kann er die Regierung in die Hände einer kleineren Anzahl legen, so daß es also mehr einfache Bürger als obrigkeitliche Personen gibt; und diese Form führt den Namen Aristokratie.
Endlich kann er die ganze Regierung in den Händen einer einzigen Person concentriren. Diese dritte Form ist die gewöhnlichste und heißt Monarchie oder königliche Regierung.
Wir werden die Wahrnehmung machen, daß alle diese Formen, oder doch wenigstens die beiden ersten, eine größereoder geringere Ausdehnung annehmen können und sogar einen ziemlich weiten Spielraum gestatten. Denn die Demokratie kann das ganze Volk umfassen oder sich bis auf die Hälfte beschränken. Die Aristokratie ihrerseits kann, von der Hälfte des Volkes an, in unbegrenzter Weise immer engere Kreise ziehen und sich auch mit der kleinsten Zahl begnügen. Selbst das Königthum läßt bisweilen eine Theilung zu, sei es zwischen Vater und Sohn, sei es zwischen zwei Brüdern oder auch sonst in einer andern Weise. In Sparta regierten stets zwei Könige, und im römischen Reiche hat man gleichzeitig acht Kaiser sehen können, ohne daß von einer Theilung des Reiches die Rede gewesen wäre. Es gibt einen gewissen Punkt, wo jede Regierungsform in die folgende übergeht. Unter den angeführten drei spezifischen Namen ist die Regierung in Wirklichkeit eben so vieler Formen fähig, als der Staat Bürger zählt.
Ja noch mehr: da sich in gewisser Beziehung jede dieser Regierungen in verschiedene kleinere Unterabtheilungen zerlegen läßt, von denen die eine auf diese und die andere auf jene Weise verwaltet wird, so kann sich aus der Combination dieser drei Formen eine beträchtliche Zahl gemischter Formen bilden, deren jede mit Hilfe all der einfachen Formen wieder vervielfältigt werden kann.
Zu allen Zeiten hat man über die beste Regierungsform viel gestritten, ohne daran zu denken, daß in gewissen Fällen jede die beste und in anderen wieder die schlechteste ist. Wenn nun,
Weitere Kostenlose Bücher