Emil oder Ueber die Erziehung
Hierin liegt aber eine Unmöglichkeit,da dies hieße, sich selbst ein Uebel zufügen wollen. Deshalb bedarf der sociale Vertrag keiner anderen Bürgschaft als der allgemeinen Macht, weil die Verletzung immer nur von Einzelnen ausgehen kann; und dann sind sie um deswillen nicht etwa ihrer Verpflichtung los und ledig, sondern werden vielmehr bestraft, weil sie gegen dieselbe verstoßen haben.
Um uns über alle ähnliche Fragen ein richtiges Urtheil zu bilden, werden wir stets eingedenk bleiben, daß der sociale Vertrag von besonderer, nur ihm eigenthümlicher Natur ist, insofern als das Volk nur mit sich selbst einen Vertrag abschließt, d. h. das Volk in seiner Gesammtheit als Souverain mit den Einzelnen als Unterthanen, ein Verhältnis, welches das ganze künstliche Spiel der politischen Maschine hervorruft und allein im Stande ist Verpflichtungen rechtmäßig, vernünftig und gefahrlos zu machen, welche sonst ungereimt, tyrannisch und den grenzenlosesten Mißbräuchen ausgesetzt sein würden.
Da die Einzelnen sich nur dem Souverain unterworfen haben, und die souveraine Autorität lediglich in dem allgemeinen Willen besteht, so werden wir sehen, wie jeder Mensch, indem er dem Souverain gehorcht, nur sich selbst gehorcht, und wie man sich unter dem socialen Vertrage freier befindet als im Naturzustande.
Nachdem wir einen Vergleich zwischen der natürlichen Freiheit und der bürgerlichen Freiheit hinsichtlich der Personen angestellt haben, werden wir in Bezug auf den Besitz das Recht des Eigenthums mit dem Rechte der Souverainität und das Privateigentum mit dem Staatseigenthume vergleichen. Ist die souveraine Autorität auf das Recht des Eigenthums gegründet, so muß sie gerade dieses Recht am höchsten achten. Es ist für sie, so lange es ein besonderes und individuelles Recht bleibt, unverletzlich und heilig. Wird es jedoch als allen Bürgern gemeinschaftlich angesehen, so ist es dem allgemeinen Willen unterworfen, und dieser Wille kann es aufheben. So steht dem Souverain nicht das Recht zu, sich an dem Besitze eines Einzelnen oder Mehrerer zu vergreifen, wol aber kann er sich völlig gesetzmäßig des Besitzes Aller bemächtigen, wie diesin Sparta zur Zeit des Lykurgus geschah, während der von Solon angeordnete Schuldenerlaß eine ungesetzliche Handlung war.
Da nur der allgemeine Wille für die Unterthanen verbindlich ist, so werden wir untersuchen, wie sich dieser Wille zu erkennen gibt, an welchen Zeichen man sich mit Sicherheit von demselben überzeugen kann, was ein Gesetz ist und worin die eigentlichen Merkmale des Gesetzes bestehen. Hier handelt es sich um einen ganz neuen Gegenstand, denn eine Definition des Gesetzes gibt es noch nicht.
Sobald das Volk auf eines oder mehrere seiner Glieder besondere Rücksicht nimmt, wird es uneins. Es bildet sich zwischen dem Ganzen und seinem Theile ein Verhältniß, welches aus ihnen zwei getrennte Wesen macht, von denen der Theil das eine und das um diesen Theil verminderte Ganze das andere bildet. Aber dies um einen Theil verkleinerte Ganze ist nun nicht mehr das Ganze. So lange dies Verhältnis besteht, gibt es folglich kein Ganzes mehr, sondern nur zwei ungleiche Theile.
Wenn dagegen das ganze Volk über das ganze Volk Beschlüsse faßt, so nimmt es nur auf sich selbst Rücksicht. Bildet sich nun ein Verhältniß, so ist es das des Ganzen unter einem Gesichtspunkte zum Ganzen unter einem andern Gesichtspunkte, ohne irgend eine Spaltung des Ganzen. Dann ist der Gegenstand, über welchen man Beschlüsse faßt, ein allgemeiner, und der Wille, welcher beschließt, ebenfalls ein allgemeiner. Wir werden untersuchen, ob es noch irgend eine andere Art der Beschlußfassung gibt, welche auf den Namen Gesetz Anspruch machen darf.
Wenn der Souverain nur durch Gesetze sprechen darf, und wenn das Gesetz immer nur einen allgemeinen Inhalt haben kann, der sich auf alle Staatsglieder gleichmäßig bezieht, so folgt hieraus, daß der Souverain niemals die Berechtigung hat, über einen besonderen Gegenstand zu beschließen. Da es zur Erhaltung des Staates indeß von Wichtigkeit ist, daß auch über besondere Angelegenheiten entschieden werde, so werden wir untersuchen, in welcher Weise sich dies ausführen läßt.
Die Acte des Souverains können nur Acte des allgemeinenWillens, der Gesetze sein; nun sind aber sodann auch noch entscheidende Acte nöthig, Acte der ausübenden Gewalt oder der Regierung zur Ausführung eben dieser Gesetze, und diese haben es stets mit besonderen
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