Emil oder Ueber die Erziehung
daß er die Hälfte des Ertrages erhält.
Robert. Darauf gehe ich ohne Bedingung ein. Seien Sie dessen aber eingedenk, daß ich Ihnen ihre Bohnenumwühlen werde, sobald Sie noch einmal Hand an meine Melonen legen.
Aus dieser Probe hinsichtlich der Art und Weise, den Kindern die ersten Begriffe beizubringen, sieht man, wie der Begriff des Eigenthums naturgemäß auf das Recht des zuerst durch seine Arbeit davon Besitz Ergreifenden zurückführt. Das ist klar, bestimmt, einfach und stets dem kindlichen Fassungsvermögen entsprechend. Von hier bis zu dem Eigenthumsrechte und dem Austausche desselben ist dann nur noch ein Schritt, über welchen man nicht hinausgehen darf.
Man wird ferner begreifen, daß eine Erklärung, die ich hier auf zwei Druckseiten zusammenfasse, bei der praktischen Ausführung vielleicht ein ganzes Jahr verlangt, denn bei der stetigen Entwickelung sittlicher Ideen kann man nicht langsam genug fortschreiten, damit man bei jedem neuen Schritte auch immer festeren Grund und Boden unter sich fühlt. Ihr jungen Lehrer, schenket, ich bitte euch darum, diesem Beispiele eure Aufmerksamkeit, und seid dessen eingedenk, daß jedweder Unterricht mehr in Handlungen als in Reden bestehen muß, denn die Kinder vergessen gar leicht, was sie selbst gesagt haben und was man ihnen gesagt hat, aber nicht, was sie gethan haben und was man ihnen gethan hat.
Aehnliche Belehrungen müssen, wie ich schon auseinandergesetzt habe, früher oder später ertheilt werden, je nachdem die ruhige oder stürmische Natur des Zöglings Beschleunigung oder Verzögerung erforderlich macht. Ihr Nutzen ist einleuchtend. Um aber bei so schwierigen Sachen nichts Wichtiges zu verabsäumen, will ich noch ein Beispiel hinzufügen.
Euer eigensinniges Kind verdirbt Alles, was es berührt. Werdet darüber nicht böse, sondern entfernet nur Alles aus seiner Umgebung, was es verderben könnte. Zerbricht es die Geräthe, deren es sich stets bedient, so beeilt euch nicht, ihm andere anzuschaffen; laßt es die nachtheiligen Folgen des Entbehrens fühlen. Zerbricht es die Fenster seines Zimmers, so laßt es Tag und Nacht ruhig vom Winde umwehen, ohne danach zu fragen, daß es sichdadurch vielleicht den Schnupfen zuzieht, denn es ist besser, daß es den Schnupfen bekommt, als daß es ein Narr bleibe. Beklaget euch nie über die Unbequemlichkeiten, die es euch verursacht, sorget aber dafür, daß es dieselben zuerst empfinde. Endlich laßt, ohne das geringste Wort darüber zu äußern, die Scheiben wieder einsetzen. Zerschlägt es sie jedoch abermals, dann ändert sofort die Methode. Saget ihm ganz trocken, aber ohne jegliche zornige Aufregung: »Die Fenster gehören mir, auf meine Kosten sind sie eingesetzt worden; ich werde sie vor künftiger Beschädigung schützen.« Sperret es hierauf in eine dunkle, fensterlose Kammer ein. Bei diesem gänzlich neuen Verfahren beginnt es zu schreien und zu lärmen. Niemand achtet darauf. Bald wird es dessen überdrüssig und schlägt einen andren Ton an: es klagt und seufzt. Ein Diener erscheint, der Trotzkopf bittet, ihn zu befreien. Jener erwidert, ohne irgend einen anderen Grund vorzuschützen: »Ich habe auch Fenster zu schützen!« und geht seiner Wege. Endlich, nachdem das Kind einige Stunden darin zugebracht hat, lange genug also, um sich zu langweilen und es nie aus der Erinnerung zu verlieren, bringt es Jemand auf den Gedanken, euch einen Vergleich anzubieten, laut welchem ihr es wieder in Freiheit setzet und es hinfort keine Scheiben mehr zerbrechen darf. Es wird nichts Besseres verlangen und die Bitte an euch richten lassen, zu ihm zu kommen. Ihr kommt. Es wird euch nun seinen Vorschlag machen, und ihr nehmt ihn augenblicklich an, indem ihr zu ihm sagt: »Das ist ein glücklicher Gedanke von dir, wir werden alle Beide dabei gewinnen. Weshalb bist du nicht früher auf diesen glücklichen Einfall gerathen!« Und darauf werdet ihr es, ohne von ihm eine neue Betheuerung und Bekräftigung seines Versprechens zu verlangen, voller Freude umarmen und es sofort auf sein Zimmer zurückführen. Vor Allem aber müßt ihr diesen Vertrag für eben so heilig und unverletzlich ansehen, als wäre er durch einen Eid bekräftigt. Welch’ eine Idee von der Verbindlichkeit übernommener Verpflichtungen und des Vortheils derselben muß sich nicht das Kind nach einem solchen Vorgange bilden! Ich müßte mich sehr täuschen,wenn es auf der Erde auch nur ein einziges, noch nicht völlig verdorbenes Kind gäbe, welches nach
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