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Emil

Emil

Titel: Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Burstein
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Seen münden, die großen Parkplätze am Meer.
    Ein anderer Blinder kam in den Garten und tastete sich vorwärts durch das Laub. Emil sah ihn an, ergriff Joels Ärmel. Seine Finger befühlten ihn suchend. Den rauen Stoff. Und den großen warmen Knopf. Und die sich lösenden Fäden. Und die Löcher im Knopf.

Joel
    Nahe am Meeresstrand standen sie beide, [ ] und [ ], und warteten auf ihn. Ein Rabe stach ihm ins Herz. Denn in ihren Gesichtern erkannte er Emil. Er sah ihnen ähnlich, sowohl ihm als auch ihr. Sogar von weitem. Wie sie den Körper hielten, die Hände bewegten, den Kopf neigten – ganz wie er. Nein, nicht wie ich. Ein Gefühl brennender Kränkung überflutete ihn, zog ihm den Boden unter den Füßen weg, ließ ihn langsam in Stücke fallen. Alles von dort. Von ihnen. Sogar den Namen hatten sie ihm gegeben. Er war er und auch sie. Sein Blick sprang hin und her zwischen dem Mann und der Frau, ja, zweifellos waren sie seine Eltern. Wie sie wohl hießen? Wie eine Tür, die sich öffnet. Klarheit. Sein Blick flog hin und her, der Schweiß tropfte an ihm herab, und als er weiter auf sie zuging, wurde ihm bewusst, dass er sie an ihrer Ähnlichkeit mit Emil erkannt hatte, sie ihn aber nicht. Er konnte an ihnen vorbeigehen, und sie würden es nicht merken. Einen Moment lang schien es, dass der Mann Emil nicht nur ähnlich war, sondern geradezu wie sein älterer Zwilling aussah, während die Frau ihm nicht ähnelte, und einen Augenblick später sah er vielmehr eine umwerfende Ähnlichkeit zwischen ihm und der Frau. Obwohl sie eine Frau war, war sie Emil, ihre Augen waren die seinen, ihr Haar das seine, aber die Augen des Mannes waren auch die seinen und sein Haar das seine. Überhaupt sehen sie einander recht ähnlich, dachte Joel, und sehen demnach auch beide Emil ähnlich. Einen Augenblick später – nein, sie sahen sich nicht ähnlich, nur der Mann, nur die Frau. Und immer so weiter. Emils Gesicht flimmerte über die Gesichter seiner Eltern. Keine Sekunde lang vermochte Joel es festzuhalten, um zu bestimmen, was die Ähnlichkeit ausmachte, jenen Zug, der ohne Zweifel der jenes Kindes war, das siebenunddreißig Jahre mit ihm gelebt hatte.
    Der Vermittler war nicht bereit gewesen, ihren Namen preiszugeben. Datum und Uhrzeit hatte er festgelegt, kommen Sie an die Ecke Hajarkon- und Jona-Hanavi-Straße, Glück und Segen, meinen Teil habe ich getan. Joel überreichte dem Vermittler ein Kuvert mit ›einem anständigen Betrag‹, sagte mit niedergeschlagenen Augen: Zählen Sie ruhig nach. Aber nein, wehrte der Vermittler ab, wir haben volles Vertrauen zu dem Herrn, und mit zwei Fingern lüftete er den Kuvertrand, warf einen Blick hinein, ein Auge zugekniffen, den Mund seitlich verzogen.
    Beide standen sie dort und blickten demonstrativ auf die Uhr, als wollten sie der gesamten Umgebung signalisieren, dass sie auf jemanden warteten. Joel bohrte seinen Blick in den Boden. Er würde nicht stehenbleiben, er konnte nicht einfach so stehenbleiben und diese Leute ansprechen. Plötzlich erschien ihm der ganze Plan verrückt. Was tat er da bloß, was denkst du, wer du bist, siebenunddreißig Jahre, lass es bleiben. Schau sie dir an, es überhaupt auszusprechen, ihnen die Idee auch nur anzutragen ist schon ein Verbrechen. Er heftete seine Augen mit Nachdruck auf den Bürgersteig, ging weiter. Als er auf einen losen Pflasterstein trat, verlor er einen Augenblick lang das Gleichgewicht. Geh geradeaus weiter, zum Meer, verspäte dich ein wenig. Du hast sie gesehen, das ist schon was. Lauf weg, blas alles ab. Sie werden nicht wissen, wer du bist, werden den Vermittler anrufen, ihn anschreien, er wird versuchen, dich zu erreichen, es schließlich vergessen, denn was ihm zusteht, hat er ja schon bekommen. Geh weiter, atme normal, heb den Kopf, damit du keinen Verdacht erregst. Was für eine verrückte Idee, was hast du dir gedacht? Stell dir vor, du gehst über eine Brücke und sie sind unter dir. Geh weiter, geh an ihnen vorbei, kein Zeichen, dass … Und schon spitzte er die Lippen zu lässigem Pfeifen. Eine Menge Leute kommen hier vorbei, warum sind alle verkleidet, was sollen die Flügel an diesem Mädchen? Ist schon Purim? Warum ist es so heiß? Er hob den Kopf wie jemand, der einfach so vor sich hin schlendert, ging mit leichtem, raschem Schritt an ihnen vorbei, sein Gesicht dem Meer zugewandt. Sie drehten den Kopf in seine Richtung und sagten wie aus einem Mund, halb Frage, halb Feststellung: Verzeihung, Emils Vater.

Joel

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