Emil
beiseite, und ein weiches, gräuliches Licht drang hinein, eher helle Dunkelheit als Licht, legte sich auch auf Joels Gesicht, der langsam wach wurde, als ginge die Sonne in ihm auf. Es war kurz vor sechs Uhr früh, und halb zu ihm, halb zu sich selbst murmelnd, sagte sie, wie sie auch damals an jenem Morgen gesagt hatte, diese Vögel, als würde man mitten auf dem Börsenparkett aufwachen. Was das hier für ein Lärm ist. Und welcher Geruch, wie von einem Orangenhain. Ich gehe wieder ins neue Haus, um zu sehen, was mit der Wohnung ist, es ist Zeit, dass wir von hier wegkommen, auch Emil möchte es. Ich gehe wieder nachschauen, willst du mit mir kommen? Doch Joel wollte in diesem Augenblick nichts davon hören, Emil möchte es, was hat Emil da zu sagen. In alles bringt sie Emil hinein. Er hörte die Vögel zwitschern, ganz eindeutig miteinander plaudern, einander antworten, zweifellos hatte dieses Vogelgeplapper eine Bedeutung, keine Musik war das, vielmehr ein Gespräch, mal näher, mal weiter weg. Ich muss mal in einem Laden nach Büchern über die Vogelsprache suchen, dachte er, es ist doch klar, dass sie einander etwas mitteilen, und er wollte aufstehen, sich zu Lea stellen, seine Hände auf ihre Schultern legen, stand aber nicht auf, sondern schloss die Augen und schlief wieder ein, und Lea machte sich fertig, weckte Emil auf und brachte ihn in die Schule, wie jeden Tag, und als Joel aufwachte, war es schon hell und heiß, und die Gardine stand offen und schlug gegen die Scheibe, und ihre halbe Tasse schwarzen Kaffees stand noch lauwarm auf dem Tisch, und wie immer nahm er einen Schluck davon, das Telefon läutete in einem fort, und er antwortete nicht, doch es hörte nicht auf, läutete immer wieder, bis er abhob und sagte: Ja, wer ist da, was soll das in aller Früh? Und eine sehr leise, fast unhörbare Stimme teilte ihm mit, dass –. Dann Schweigen. Eine ganze Weile stand er da, ausgehöhlt, bis er schließlich blinzelte, und in seinem Kopf raste, gleich einem verrosteten schweren Güterzug, der niedersausende Lift in seinem Schacht wie eine senkrecht fahrende U-Bahn, und in ihm nur eine Frau. Er hatte nicht begriffen, was man ihm gesagt hatte, doch nach einer Sekunde, mit einem Schlag, musste er es begreifen, als hätte man ihm mit Gewalt Gift in den Rachen gegossen, das Bild seiner Frau, wie sie in dem neuen Haus immer wieder auf den roten Halt-Knopf drückte, als sie bemerkt hatte, dass ganz offensichtlich etwas nicht stimmte, was ja so war, sich in der hinabdonnernden, hinabsausenden Kabine hingekauert hatte, auf ein Wunder hoffte, dass der Aufzug plötzlich stehenblieb, an Emil dachte und an den hellblauen Schulranzen, den sie ihm erst vor zwei Monaten zur Einschulung gekauft hatte, den ihr Blick vor knapp einer Stunde gestreift hatte, dann nur an den Ranzen im Sonnenlicht, nein, nein, Hilfe, schrie er, brüllte er, Hilfe, anhalten. Und in die Decke gehüllt ging er auf die Straße hinaus.
2
Die Stadt
Zwischen zwei unendlichen Eiszeitaltern blühte die Stadt auf wie ein Büschel Hyssopkraut an einem Mauerstück in einem entlegenen Viertel. Es war heiß, man schwitzte, aß gelbes Zitroneneis am Stiel, das süß schmeckte in der milden Wintersonne. Klein und quadratisch ruhten die Eiswürfel im Kühlschrank wie die Ziegel eines Hauses, das nie gebaut werden würde. Doch das große Eis davor und danach hielt sie in schneeiger Umklammerung. Er legte das schlafende, fieberglühende Kind ins Bett. Auf ihre Seite. Ging in die Küche und steckte seinen Kopf ins Tiefkühlfach.
Lea – Joel
Eigentlich waren sie mit dem festen Entschluss hingekommen, sich ein Mädchen auszusuchen, doch die Jungen waren in der Überzahl, und von den Mädchen gefiel Lea keines. Joel war ungeduldig wie ein Mann, der seine Frau zum Kleiderkauf begleitet. Jede Sekunde in der Abteilung für zur Adoption stehende Kinder bedrückte und beschämte ihn, als wollte er nicht ein Kind adoptieren, sondern am helllichten Tag ein Verbrechen begehen. Nach zwei Minuten sagte er zum Fußboden: Komm schon, es reicht, und Lea sagte: Joel, das ist kein Kleiderladen, kein Umtausch möglich, wenn’s nicht passt, was ist bloß los mit dir? Geduld!, und lächelte die Schwester wie um Verzeihung bittend an. Auf ein rothaariges Baby zeigend sah sie Joel an, als frage sie um seine Erlaubnis, und er sagte: In Ordnung, von mir aus die Rothaarige. Schließlich hatte auch meine Mutter rote Haare. Das passt, und sie hoben das Baby auf, das sehr leicht,
Weitere Kostenlose Bücher