Emil
Messer, ein Autorennen, der Wagen des Pharao, der König von Assyrien, eine Ledersandale, ein gewaltiger Wasserschwall, und es war, als schneide ein Messer in sein Herz, und er wollte schreien, nein, nein, doch das Kind schlief noch immer, also schrie er noch nicht, schluckte die Laute hinunter, Wie kann so was passieren, in den Aufzug, in den Aufzug, in den verdammten Aufzug, in den Aufzug, seine Seele versank im Erdboden acht Stockwerke tief, zog ihn immer tiefer hinab, Wie wird das enden, hinab, und wieder prasselten die Worte auf ihn nieder, Was, was wird jetzt sein, er schaute auf das Datum, es war der vierte des Monats, fremd und bedrohlich wirkte das Datum auf ihn, und die Ziffer 4 auf dem Kalender schien ihm rot gefärbt, und war wirklich rot, Ich bin verloren, sagte er, Ich bin verloren, wir sind verloren. Als er aus dem Schlaf erwachte, saß Emil schon über sein Tischchen gebeugt, zeichnete schweigend das Kleid und die Schuhe. Willst du vielleicht etwas trinken?, stammelte Joel. Emil schaute auf und senkte den Blick dann erneut auf die Zeichnung. Willst du vielleicht etwas trinken?, wiederholte Joel.
Viele Tage gingen vorbei.
Drei Tage nach dem Begräbnis saßen wir in der Wohnung. Die meisten Besucher kamen während der ersten Tage. Leute aus dem Büro, die abseits Platz nahmen und auf die zusammengefaltete Zeitung schielten. Es kam der Tora-Lehrer mit seiner geschiedenen Frau, es kam die Schulleiterin, in ihrem Gefolge zwei Schüler. Schalom, Emil. Überreichten ihm einen schwarzen Ordner, der auf schwarzen Kartonblättern die Trauerwünsche aller Klassenkameraden enthielt. Mit aufgeklebten Zeichnungen. Da war eine Zeichnung von der guten Fee, und ein Zeichnung mit einem leeren Himmel, und eine Zeichnung von einem durchsichtigen Aufzug, der mit Flügeln übers Meer glitt, in ihm eine kleine Frau, als wär’s ein gläserner Aufzug über der Sonne. Emil bedankte sich. Einer der Jungen namens Dror, der eigentlich aus der Parallelklasse war, zog einen neuen Tennisball aus der Tasche und reichte ihn Emil. Das war ich.
In der Toilette saß Joel auf dem heruntergeklappten Klodeckel, zwischen den Fingern einen Bleistift, den er rasch hin und her bewegte. Im Wohnzimmer fragte man nach ihm. Dann fragte man nochmals nach ihm. Bis Emil schließlich sagte, er sei nicht da.
Am Ende des Schuljahres bei der Feier zum Abschluss der ersten Klasse stand Joel abseits, als ihm die Lehrerin bedeutete, das Licht auszuschalten, und als er lautlos fragte, Ich?, nickte die Lehrerin. Als es dunkel war, zündete jedes der Kinder eine Kerze an, sie stellten sich rundherum auf und begannen, ganz langsam und still fast vollkommene Kreise zu ziehen. Joel dachte, dass gleich etwas losgehen würde, dass ein Akkordeon ertönen, die Lehrerin auf ein Tamburin klopfen würde, er erwartete ein Gedicht oder eine Theaterszene oder eine Stimme, die einen Hora-Tanz oder einen Marsch anstimmen würde, doch im Raum herrschte völlige Stille. Die Kinder drehten sich, die Kerzen in der Hand, langsam im Kreis. Schritt-Schritt. Pause. Schritt-Schritt. Pause.
Er hätte nicht sagen können, welche Flamme die seine war. Doch er sang mit den Kindern mit.
– Ja, heute ist das Haus bewohnt. Klar ist es bewohnt. Die Leute, die dort wohnen, wissen nicht, dass dort …
Einmal gingen sie zu einer Zaubervorstellung. Der Zauberer bat um einen Freiwilligen aus dem Publikum. Joel schickte Emil als Freiwilligen nach vorne.
Dann kehrte Emil in die Schule zurück. Es war ein angenehmer Tag. Man setzte ihn irgendwo hin. Die Lehrerin hatte der Klasse etwas sagen wollen, vergaß es aber. Es war ja schon ein Monat vergangen. Vielleicht war es besser, keine schlafenden Hunde zu wecken. Aber die Kinder waren etwas netter als sonst zu ihm. Ließen ihn abschreiben. Auf Klassenfahrten fuhr er nicht mit. Und auch vom Sportunterricht wurde er befreit. Bei den Mädchen war er nicht beliebt.
Eines Tages war er irgendwo, weit weg, unterwegs. Vielleicht in Jerusalem. Plötzlich dachte er: Wo ist er jetzt wohl genau? Was tut er? Er hielt inne. Machte kehrt. Der Junge war schon sechzehn. Was aber nichts bedeutete. Er richtete seinen Blick und sein Herz gen Westen nach Tel Aviv und tat so, als könne er ihn sehen, bis er wieder Luft bekam und sich beruhigt hatte.
Als ein Jahr vorbei war, gingen sie gemeinsam zu dem Haus. Dem Haus, in dem sie hätten wohnen sollen. Nach dem Unfall kam es für sie nicht mehr in Frage, dorthin umzuziehen. Ein Anwalt sorgte dafür, dass
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