Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emil

Emil

Titel: Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Burstein
Vom Netzwerk:
Friseur und dem Vater. Der Friseur fragt: Messerschnitt?, und der Vater sagt, Was? Nein-nein, nein.
    ›Was? Nein-nein, nein‹, statt eines einfachen ›Nein‹.
    Der Junge erinnert sich an den Umhang um seinen Hals und den Augenblick, in dem man ihn abnimmt und eine weiche Bürste ihn zu streicheln beginnt. Sein Gesicht, seine Nase, seinen Nacken, seinen Kopf. Als wäre der Junge ein Gehweg, den jemand mit einem ganz weichen Besen fegt.
    Dann eine Duftwolke und den Atem anhalten.
    Und dann ›ein paar Ausbesserungen‹, wie ein Vogelschnabel schneidet die Schere die Luft.
    Der Junge erinnert sich an die Hand des Vaters, die ihm über das geschnittene Haar streicht, als sie aus dem Friseurladen auf die Straße treten. Erst dann wirft der Vater einen prüfenden Blick auf die Frisur. Um den Friseur nicht nervös zu machen. Damit er nicht etwa denke, man kontrolliere ihn. Er hat es eilig, zu bezahlen und zu gehen.
    Und manchmal ist da noch ein Mädchen oder ein Junge auf dem Nebensessel, an dem ein anderer Friseur arbeitet, und ihre Blicke treffen tief im Spiegel aufeinander.
    Das seltsame Gefühl, mit kurzem Haarschnitt auf die Straße zu treten. Wie aus der Dusche direkt in den Hof. Als seiest nicht du, sondern als wäre ein anderes Kind gerade hier aus dem Laden gekommen. Eine Art Erleichterung. Haareschneiden ist etwas zutiefst Beglückendes.
    Das Kind erinnert sich an die große Schaufel mit ein wenig geschnittenem Haar und Locken darauf, vermischt mit dem Haar anderer Kunden. Manchmal trifft graues Haar auf Kinderhaar. Und er erinnert sich an den weichen Besen, der lautlos über den Fußboden gleitet in der Hand eines Neffen des Friseurs, der damals, scheint’s, Chaim hieß.
    – Chaim, hol mir ein trockenes Handtuch heraus
    – Chaim, er zahlt einen Fünfziger
    – Chaim, Kopfwaschen bei dem Jungen hier
    Und der Junge erinnert sich, wie ihm der Vater beim Nachhausekommen sagt, Geh unter die Dusche und wasch dir gründlich den Kopf. Alle Haarschnippel ausspülen. Und er entgegnet, man habe ihm beim Friseur bereits den Kopf gewaschen. Und er erinnert sich an das heiße Wasser, an seinen Kopf in der Aushöhlung (Wie unter der Guillotine, was?, hatte Amikam Sisser einmal, in den Vierzigerjahren, gesagt, als er Joel zum Friseur brachte), an die seifigen Finger, an den starken Strahl auf der Kopfhaut und das Handtuch, das seinen Kopf umhüllt. Bitte sehr, mein Herr. Und das Schwingen des Handtuches, das die Luft peitscht wie eine Fahne oder ein Fensterladen.
    Der Junge erinnert sich deutlich, wie er vor dem Duschspiegel stand, nackt, und sein Kopf und ein Teil des Fensters fingen sich im Spiegelbild. Das war er. Das war er.
    Wenn er stirbt, hatte ihm einmal Chaim zugeflüstert, dann werde
ich
ganz allein hier der Friseur sein. Emil sah ihn fragend an, und Chaim sagte: Er schneidet dich zu kurz. Das steht dir nicht. Und nachdem er ein wenig nachgedacht hatte, versprach ihm Emil flüsternd: Ich werde auch zu dir zum Haareschneiden kommen.

Emil
    Da der Junge dunkel und seine Mutter in jungen Jahren gestorben war, nahmen alle an, seine tote Mutter seit dunkel gewesen wie er, denn sein Vater war weiß und mager und ein richtiger Aschkenasi. Und daher stellten die Lehrer, die Eltern seiner Freunde, die Freunde selbst, die Beamten vom Sozialamt, die Schulleiterin und die Turnlehrerin sie sich so vor: dunkel, ihm ein wenig ähnlich, zerschmettert am Grunde des Schachts liegend, mit schwarzem Haar, schwarzem Kleid, die schwarzen Augen geschlossen.
    Im Gehen trat Emil mit dem Fuß gegen Pappschachteln, die, zur Matratze ausgebreitet, einem Obdachlosen als Bettstatt dienten. Reparierte und noch kaputte Autos hockten wie gefangene Löwen in den umliegenden Autowerkstätten.
    Schwarze Mutter, so erinnerte er sich, stand auf einem Zettel, den ihm jemand auf den Rücken geklebt hatte. Es war Jahre her. Es gibt Dinge, die einen nie loslassen.
    Als er an einer Werkstatt vorbeiging, fuhr er zusammen, denn es kam ihm vor, als ob durch den zerbrochenen Briefschlitz in dem metallenen, für die Nacht herabgelassenen Rolltor eine Brille aufblitzte. Von innen klopfte jemand, um auf sich aufmerksam zu machen. Er blieb stehen, hörte eine Stimme. Hallo, hallo, Kumpel … hallo? Ich stecke hier fest, kannst du jemanden zu Hilfe rufen? Der Himmel schickt dich, seit Stunden schrei ich hier … komm, komm mal her, hast du ein Handy dabei? Kannst du mir mal dein Handy durchstecken? Emil sagte, Nein, ich habe keins, morgen wird dich jemand

Weitere Kostenlose Bücher