Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emil

Emil

Titel: Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Burstein
Vom Netzwerk:
rausholen, und die Stimme sagte, Woher denn, heute ist Donnerstag, das wär erst am Sonntag … du bringst mich um, geh, ruf jemanden an, was mach ich ’n hier das ganze Wochenende, sei kein Fiesling. Und Emil sagte, noch immer aus einiger Entfernung, Gut, in Ordnung, wen soll ich anrufen, gib mir eine Nummer, ich werde ein öffentliches Telefon suchen, ich habe kein Handy, und die Stimme sagte, Was führst du dich so auf, hilf mir lieber, was ist los mit dir, ruf jemanden an, geh nicht weg, lass mich nicht allein, rausholen soll’n sie mich, was quatscht du da von Nummern und öffentlichem Telefon, siehst du nicht, dass man mich hier eingesperrt hat? Komm näher, ich hör dich kaum, ich geb dir Geld, geh, bring mir was zu essen, Burekas von Jacques, was zu trinken, komm näher, du wirst mich noch auf dem Gewissen haben, ich ersticke hier, was für ’n Gestank da ist vom Öl, ich geb dir etwas Geld, das ist ’ne Autowerkstatt, ich steh auf einem Kühler, gleich fall ich hin, brech mir den Hals … was für Beine ich hab, kaputt sind sie, Zündhölzer, wie ein Lahmer, ein Krüppel, den ganzen Tag arbeite ich hier unter den Autos, mein Bein ist schon ganz krumm, wie eine Gummipuppe lieg ich den ganzen Tag rücklings auf dem Rollbrett unter den Bäuchen der Autos … seit zwei Wochen hab ich kein Sonnenlicht mehr gesehen. Meine Frau sagt, ich hab kein bisschen Vitamin im Körper … das Öl sickert mir durch alle Poren … den Sohn hat man mir genommen … in Kanada hab ich auch eine Tochter …
    Stinkender Rauch von starkem, schlechten Tabak stieg aus der Spalte des Werkstatttors auf. Emil war es in diesem Augenblick völlig klar, dass es sein Vater war, der da eingeschlossen war. Ja, sein wirklicher Vater. Aber natürlich irrte er sich.

Joel – Emil
    Eines Tages kam Emil von der Armee nach Hause, und Joel, der ihn nicht erwartet hatte, hob mit gerunzelter Stirn die Augen von der Zeitung. Beim Eintreten sagte Emil: Man hat mich ausgemustert, und Joel merkte, dass der Junge tatsächlich nicht in Uniform war. Mal nachrechnen: Am Montag ist er eingerückt. Wenn ich mich nicht irre, ist heute Donnerstag, und Joel sagte: Jetzt schon?, und versteckte sein Gesicht hinter der Zeitung. Aber das Beben des Zeitungssegels verriet ihn. Und Emil sagte: Ich bin wegen Untauglichkeit vom Wehrdienst befreit, und Joel sagte, Was du nicht sagst, und Emil sagte, Drei Tage Wehrdienst, und lachte etwas gezwungen. Joel stand auf und zertrat die Zeitung auf dem Boden. Emil erschrak ein wenig. Doch Joel lachte beruhigend. Als das Telefon läutete, gingen sie nicht ran. Stattdessen gingen sie zum Meer.
    Und er dachte, dass er jetzt, in diesem bedeutenden Augenblick ihres Lebens, mit ihm über die Adoptionsangelegenheit, über all die verstrichenen Jahre sprechen sollte, wusste aber, dass es unmöglich war. Zuviel gab es, worüber man hätte sprechen können. Er konnte das Glück dieser vorzeitigen Entlassung kaum fassen. Ein geschenktes Leben. Eine andere Stimme flüsterte ihm beschämt und besorgt zu, was wohl die Nachbarn sagen würden und die Arbeitskollegen. Doch diese Stimme verflüchtigte sich, stattdessen stiegen eine bunte venezianische Kutsche und glitzerndes Licht und der Gesang eines Gondoliere auf. Und Glockengeläut. Ausgemustert. Ausgemustert. Er würde nicht getötet werden. Würde nicht töten. Es würde nicht geschehen.
    Er fühlte, dass es in ihrem Sinne war. Dass sie ganz in ihrer Nähe saß, vielleicht am Fuße des Hochstandes der Rettungsschwimmer, unter einem breitkrempigen Strohhut verborgen, und sich, aufs Meer blickend, erleichtert zurücklehnte. Endlich konnte sie sich zurücklehnen. Er meinte, sie diese Worte aussprechen zu hören. Endlich kann man sich zurücklehnen. Jetzt erst verstand er, wie schwer es auf ihm gelastet hatte. Welche Anspannung sich in seinem Körper aufgestaut hatte, als habe sich eine innere Feder verheddert und verklemmt. Ganz verhärtet war sein Nacken. Diese Angst, dass sein Kind auf ein anderes Kind würde schießen müssen. Oder einschlagen. Und es hatte ihn nicht so sehr die Möglichkeit bekümmert, dass er sterben oder verwundet werden könne – tunlichst natürlich nicht. Denn wozu sollte es gut sein, mit achtzehn getötet zu werden? Doch sterben muss jeder. Nicht aber töten. Es ist wunderbar, dass man sein ganzes langes Leben zubringen kann, ohne einen Menschen zu töten. Eine Gelegenheit, so zu leben, wie es sich gehört. Und da kommt die Armee und macht diesen minimalen Anspruch

Weitere Kostenlose Bücher