Emil
trockenen Laubs wies. Joel dachte, wir haben genug Zeit. In einem der Laubhügel, die der Straßenkehrer vor knapp einer Stunde aufgehäuft hatte, lag eine kleine rote Frucht, die wohl von irgendeinem Baum herabgefallen war. Emil erklärte dem Hund mit ernster, geheimnisvoller Miene: Das ist eine Tomate. Das ist nichts für dich. Der Hund wälzte sich im Laub.
Emil streichelte die Katzen auf der Straße vor dem Café und stellte ihnen seinen schwarzen Hund vor, streckte vorsichtig seine Hand mit den zarten Fingernägeln aus, und während Joel zusah, kam ihm der Gedanke, dass die Rollen nun vielleicht vertauscht seien, dass dieser Emil mit seinen siebeneinhalb Jahren nun die Verantwortung für ihn, Joel, übernommen habe. Du, dachte er, kannst ja keine Katze streicheln, kannst dich nicht auf einen Haufen trockenen Laubs legen. Er schon. Er ist wieder gesund. Seine Wunde war tief, doch schon verheilt. Ohne ihn wärst du … Die Kellnerin stellte eine heiße Schokolade vor ihn auf den Tisch und legte ein Messer dazu.
Das ist für ihn, sagte er, mit dem Kopf auf Emil deutend.
Die Kellnerin stand hinter Joel. Beide sahen sie zu, wie der Junge seine Hand nach den Katzen ausstreckte. Neben seinen Schuhen döste der Hund. Sie wollte ihm sagen: Ich habe gehört, was mit ihrer Frau passiert ist. Sagte aber nichts. Wie alle im Café und im Viertel kannte sie die Geschichte in allen Einzelheiten. Sie wollte sagen, Sicher schmerzt es sehr, und sagte: Dass die Schokolade nur nicht ganz abkühlt. Wollte sagen, Sicher ist es schwer für Sie beide. Sagte, Ich ruf ihn rein, bleiben Sie sitzen, ich geh schon. Emil trank die Schokolade. Sein Hemd, seine Hand und das Fell des Hundes waren voller Katzenhaare. Joel bürstete von seinem Sohn ab, was die Katzen hinterlassen hatten. Wischte seine Hand und sein Hemd ab. Mit der Hand strich er Emil über Haar und Rücken. Das kitzelte, und Emil musste lachen. Da drückte er ihn an sich. Ein wenig. Stark.
Zwei Katzen hielten durch die Fensterscheibe des Cafés nach ihm Ausschau, sahen aber nur ihr eigenes Spiegelbild.
Während er Emil säuberte, kam Joel vielleicht zum ersten Mal dieser Gedanke, den er unverzüglich als völligen Irrsinn von sich wies. Schäm dich, dachte er, was bist du für ein Vater? Doch während er noch voll Schmerz und Schrecken so dachte, sagte er sich, vielleicht, wenn ich nicht mehr sein werde, ich bin ja schon fast vierzig, wer weiß, er kannte zwei, die etwa in diesem Alter an ihrem ersten Herzinfarkt gestorben waren. Und Emil lachte in einem fort. Jemand anders muss sich um ihn kümmern und ihn saubermachen, das Fell ausschütteln. Und ihn zu sich nehmen. Nein, nicht heute und nicht morgen. Aber man muss an die Zukunft denken.
Er hatte lange schwarze Locken. Sein Körper – was lässt sich schon über den Körper eines Kindes sagen. Er war klein. Mit einem Arm konnte man ihn umarmen, und es blieb noch Platz.
Die Jahre vergingen. Jedes Jahr musste man ihm neue Schuhe kaufen. Und im Sommer Sandalen.
Er hatte ein grünes T-Shirt mit dem Bild eines Löwen. Er hatte ein Steve-Austin-Shirt. Und einmal stellte er sich vor, wie man sie aus dem Aufzug herausholt und Oscar Goldman sagt, Lass sie uns doch reparieren, und man wechselt ihr den halben Körper und ein Auge aus.
Im Winter trug er Stiefel. Den Pulli, den Lea ihm gestrickt hatte, verstaute Joel in einer Tüte auf dem Dachboden. Und die Tüte mit dem Pulli legte er in noch eine Tüte. Später würde Emil diese Tüten öffnen. Viele, viele Tage später. Lange Zeit sollte vergehen, bis er eines fernen Tages die Tüten öffnen und sich der starke Geruch von Mottenkugeln verbreiten würde.
Über einen Jungen von sieben Jahren und einem Monat lässt sich vieles sagen. Es lässt sich beschreiben, wie man mit ihm zum Friseur geht. In Levis Friseurladen.
Man setzt ihn auf ein Brett, das über den Armlehnen des großen Friseursessels liegt. Der Vater sitzt Zeitung lesend hinten. Beziehungsweise, im Fall von Joel Sissu, hält er die Zeitung, als wolle er gleich zu lesen beginnen, blickt aber in Wahrheit in den Spiegel. ›Beaufsichtigt das Haareschneiden‹.
Einmal blickte Joel in den Spiegel, ohne sich zu sehen. Er erschrak zutiefst. Dann stellte sich heraus, dass es kein Spiegel war, sondern ein irrtümlich eingebautes Glasfenster.
Und der Junge schließt die Augen, manchmal ganz fest, wenn der Friseur es so anordnet, damit man ihm nicht in die Augen fahre.
Der Junge erinnert sich an den Dialog zwischen dem
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