Emil
in diesen Teich im Herzen des dichten, entlegenen Walds getaucht, zu dem eine schmale Treppe abwärts führt. Ein Geruch von Moder und Feuer. Immer drückender. Mit jedem Schritt. Der Atem wird immer schwerer. Man möchte sich anlehnen, doch da ist nichts, an das man sich lehnen könnte.
Sie setzte sich neben die Anverwandten. Lehnte die Kekse ab. Blickte hie und da in die Runde. Nach einiger Zeit trat der Vater ein. In der Hand das schwarze Barett des Sohnes, er walkte und knetete es, wischte sich darin das tränennasse Gesicht ab. Blickte nach allen Seiten, niemand näherte sich ihm. Wo ist Giora, schrie er plötzlich, Wo ist der Schuft, wo bist du, wo ist Giora, er soll endlich kommen, sich ins Flugzeug setzen. Weit weg, am Friedhof, hob ein neues Begräbnis an. Jemand versuchte, den Wasserhahn fester zuzudrehen. Doch das Wasser tropfte weiter. Violette Barette strömten zwischen den marmornen Grabsteinen auf dem Weg zur Militärabteilung.
Neben ihr erklärte eine Frau ihrer Sitznachbarin: Giora ist sein Bruder. Er hat das Kind überredet, zu einer Kampfeinheit zu gehen. – Und wo ist er, der Bruder? – In Boston. Hat was mit Computern zu tun. Der Vater brach auf dem Lehnstuhl zusammen. Niemand ging zu ihm. In der Küchentür erschien bereits der zweite Kuchen.
Wo ist seine Frau?, fragte [ ] einen Mann mit Kippa, der neben ihr saß. Aus seinem Blick las sie ab, dass sie weder anwesend noch zu erwarten war. Vielleicht war sie selbst schon tot. Oder geschieden. Vielleicht ist auch sie in Boston, dachte sie, vielleicht hat Giora sie mitgenommen. Der erfolgreiche Sohn wollte sie bei sich haben. Die Gedanken rasten in ihrem Kopf hin und her.
Die Zeitung wurde herumgereicht. Wieder und wieder las man die Einzelheiten des Zwischenfalls in der Hauptstraße von Hebron. Was hatten sie dort zu suchen, ertönte die Stimme des ›verrückten Onkels‹, der alle paar Minuten aufstand. Mitten in der Kasbah von Hebron. In der verheißenen Kasbah. Man sah ihn mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung an. Schade, dass er nicht mit seiner Schwester weg war. Der ›verrückte Onkel‹ stand auf und ging zur Toilette. Auf dem weißen T-Shirt war ein hinter einem Berg oder einer Mauer hervorblickender Hundekopf aufgedruckt, darüber gelber Himmel. Plötzlich blieb er stehen und sah sich im Kreis der Trauernden um. Außer ihr sah ihn niemand an. Ihr Blick traf auf den Blick des Hundes.
Was sollte sie sagen? Fragen, ob er ihr leibliches Kind gewesen sei? Oder adoptiert? Wie stellte man eine solche Frage? Dann fragte sie jemanden beiläufig: Und seine Eltern, wissen sie es schon?, und der stutzte einen Augenblick, sagte: Was? War er nicht adoptiert?, flüsterte sie ihm mit einer ihr unbekannten Dreistigkeit zu. Ihr Sitznachbar sagte: Ach so. Natürlich wissen sie es schon. Ich würde mich nicht wundern, wenn man es ihnen noch vor ihm mitgeteilt hätte, sagte er und wies mit dem Kinn in Richtung des auf dem Kopf liegenden Fernsehers, wo nebeneinander ein Mann, eine Frau und ein kleines Kind mit einem Glas Fruchtsaft in der Hand standen. Das Kind bemerkte ihren Blick und sah zu ihr herüber.
[ ] stand auf und ging an ihnen vorbei. Trat an den Vater heran, der im Lehnsessel hingestreckt lag. Sie stand neben seinen nackten, von Sand bedeckten Füßen. Sprach ihn mit seinem Namen an. Er antwortete nicht. Aus wirrem Schlaf murmelte er etwas zu ihr. Esther, Esther. Was wird sein. Esther, was wird sein.
Joel – Emil
Emil trat aus dem Café auf die Straße hinaus. Von seinem Sitzplatz aus im Innern des Cafés ließ Joel seine weit geöffneten Augen nicht von ihm, während er nach seiner Tasse tastete. Nachdem ein ganzes Jahr vergangen war, hatten ihm Freunde gesagt, Nimm ihn doch ein bisschen raus, kauf ihm einen Hund. – Einen Hund?, hatte sich Joel gewundert. Einen kleinen Hund, hatte ihn Emil angefleht, eine Katze.
Joel erschrak, als er begriff, dass er nicht ein Tier kaufen, sondern eigentlich aus dem Tierheim adoptieren wollte. Adoptieren wollte, doch ›kaufen‹ sagte. Du willst adoptieren, wollte ihm Joel sagen, als sei das etwas Fürchterliches. Adoptieren willst du, nicht wahr?, und dachte an eine große Hündin, die zubeißt, wenn man ihr die Jungen wegnimmt. An Zähne, die sich ins Fleisch graben.
Als Kompromiss gingen sie ins Café, und auf dem Weg dorthin kauften sie einen Plüschhund. Von Zeit zu Zeit blieb Joel mit dem Hund, der mit dem Schwanz wedeln konnte, stehen, sagte etwas zu ihm, wobei er auf Hügel voll
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