Emilia - Herzbeben
sah so aus. Ihr habt Händchen gehalten.«
Jetzt klatschte sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn! Deswegen war er so überstürzt aus dem Wagen gestiegen?! Das hatte sie in all ihre schmerzhaften Gedanken gar nicht mit einbezogen. Natürlich hatte sie das nicht! Die Vorstellung war einfach zu absurd! »Das hast du falsch verstanden!«, rief siefassungslos aus und konnte nicht glauben, dass sie gerade ein solches Gespräch führte. Das kannte sie nur aus Filmen. »Es ist so«, begann sie, hielt ihm ihre Hände hin und drehte die Handflächen nach oben, »ich habe diese Schübe. Ramon sagt, dass ich mich verwandle«, sie sah ihn prüfend an und fuhr erst fort, als sie sicher war, das ihm diese Tatsache nichts ausmachte, »und das sind höllische Schmerzen. Ich weiß nicht, wieso, aber wenn ich ihn anfasse, tut es nicht mehr so weh.« Dass es überhaupt nicht mehr weh tat, wenn sie ihn berührte, verschwieg sie ihm und sie erzählte ihm auch nichts von dem inneren Frieden, der in ihr einkehrte, wenn er in ihrer Nähe war oder von der Wärme und der Geborgenheit, die sie bei ihm fühlte. Stattdessen sagte sie: »Vielleicht liegt es daran, dass er so ist, wie ich. Wir sind sozusagen … Geschwister.«
Ramon lehnte sich gegen die Wand, betrachtete das Szenario, das sich ihm bot und schluckte einen Schmerz hinunter, den er nicht kannte. Er fühlte sich dumpf an. Wie ein Faustschlag direkt in seine Brust. Und er hinterließ einen Vakuum. Leere. Und Dunkelheit. Als habe er ihn ausgehöhlt. Er fühlte nicht einmal die Luft in seinen Lungen und atmete mehrmals tief ein. Dabei roch er sie. Den Duft ihrer Haare, den Geruch ihrer Haut und ihres Blutes. Jeder Atemzug stach ihm wie ein Dolch ins Herz. Er wurde wütend. Er hatte keine Ahnung auf wen oder was, aber er raste vor Wut.
»Sieht er das genauso?«, fragte Jona sie.
»Ja!«, rief Mia sofort aus. »Natürlich! Er passt schon auf mich auf, seit ich ein Baby bin.« Er konnte gar kein solches Interesse an ihr haben, dachte sie sich. Er hatte sie in Windeln gesehen! Auf einmal kam ihr Jona näher. Und ihr Herz begann dabei wie ein Presslufthammer gegen ihre Brust zu schlagen. Ihr Körper erstarrte, doch in ihrem Bauch tobte ein ganzes Meer von Schmetterlingen.
»Er hätte also nichts dagegen«, sprach Jona leise und berührte mit seinem Atem ihre Lippen, »wenn ich dich jetzt küsse?«
Mia konnte darauf nicht reagieren. Und sie hatte auch keine Antwort darauf. Sie spürte nur ein elektrisierendes Vibrieren in ihrem ganzen Körper. Es schaltete ihr Gehirn aus und legte dieWelt um sie herum lahm. Alles wurde still. Das Plätschern des Wassers, die Teenager, die sie von überall viel zu deutlich gehört hatte, der Wind. Sie hörte nur noch seinen rasenden Herzschlag und seinen Atem. Und sie sah nur noch seine Augen, die sich jetzt langsam schlossen. Als sich seine warmen Lippen dann sanft und vorsichtig auf ihre legten, brach ein Vulkan in ihr aus. Hitze stieg in ihr auf und das Kribbeln in ihrem Bauch weitete sich auf ihren ganzen Körper aus. Es fühlte sich an, als würde eine gewaltige Kraft in ihr aufsteigen und ihr zugleich die Knie in Pudding verwandeln. Sie schmolz unter dieser Berührung dahin und driftete in einen Zustand ab, in dem es keine Gedanken gab, keine Welt, keine Realität und keine Träume. Es gab nur diesen Moment. Diesen stillen, kleinen Moment, der für sie die Welt war. Ihr Herz bebte. Und es klang wie ein rhythmischer Trommelschlag. Wie eine Melodie, ein Herzbeben, das sie erschütterte, an ihr rüttelte und sie aufzuwecken versuchte. Es brachte etwas in ihr zum Vorschein. Etwas, das tief in ihr saß und mit jedem Herzschlag ein Stück mehr befreit wurde. Sie wusste nicht, was es war. Doch es fühlte sich groß an. Und unendlich weit.
Das Räuspern, das hinter ihr erklang, hörte sie zunächst nicht. Erst, als eine bekannte Stimme ihren Namen aussprach, öffnete sie die Augen. Sie lösten sich rasch voneinander und wandten sich benommen um. Ramon stand da. Mit verschränkten Armen. Und er sah so aus, als stünde er kurz vor einer Explosion.
»Alva will dich sprechen«, sagte er beherrscht und sah dann Jona an, als spüre er den unwiderstehlichen Drang, ihn auf der Stelle zu fressen. Mia klemmte sich verlegen ihr Haar hinters Ohr und marschierte schnell und mit hochrotem, gesenktem Kopf an ihm vorbei. Doch sie schwankte auf den Wolken, auf denen sie lief, zur Seite. Ramon stützte sie, ohne Jona dabei aus den Augen zu lassen und hielt ihren
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