Emilia - Herzbeben
interessierte es sie am meisten, wie es ihr ergangen war, als der Schatten vor ihr gestanden hatte. Sie verschwieg ihnen, dass sie sich auf eine seltsame Weise mit ihm verbunden gefühlt hatte und erzählte einfach nur, dass er im Gegensatz zu Jona keinen Einfluss auf ihr Wohlbefinden genommen hatte. Sie hatte weder Atemprobleme gehabt noch Angst. Das faszinierte sie so sehr, dass sie allerlei Vermutungen anstellten, warum dies so war. Doch Ramon drängelte immer wieder, dass sie jetzt weiter mussten. Sie sprachen mit Alva den nächsten Treffpunkt ab, der sich dieses Mal direkt am Wasser befand. Der kürzeste Weg zu Nouel, dem alten Alchimisten, führte über einen großen See. Die einzige Schwierigkeit lag darin, mitten in der Nacht jemanden zu finden, der sie mit der Fähre hinüber fuhr. Die beiden Vampire Kell und Malina sahen darin jedoch kein Problem und bald schon machtensie sich wieder auf den Weg. Jona fuhr dieses Mal bei Jan und Mike mit, was Mias Stimmung geradewegs in den Keller beförderte. Da interessierte es sie auch nicht, dass Ramons Porsche wie der Wagen eines Präsidenten von einem gewaltigen Konvoi von Autos begleitet wurde. Die anderen, die nicht mit dem Auto da waren, begleiteten sie mit dem Zug. Sie war umgeben von einer Armee. Einer Armee von Engeln. Sie waren hier, um sie auf ihrer Reise zu schützen. Doch sie konnte an nichts Anderes denken, als an Jona. Er hing in ihrem Kopf fest wie eine Klette, die sich in einem Wollpulli verfangen hatte. Sie wurde ihn nicht los. Und auch den Schmerz nicht, der ihr immer wieder die Tränen in die Augen trieb.
29
Es ging fast alles zu einfach und zu schnell. Kell und Malina hatten mitten in der Nacht in Null Komma Nix einen Kapitän aufgetrieben und manipuliert, der sie jetzt mit dem Schiff über das schwarze Wasser fuhr. Die knapp 150 Passagiere waren in den Etagen verteilt, doch es kamen immer wieder kleine Gruppen hinauf, um Mia zu sehen, sich ihr vorzustellen und ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Es war fast wie ein Staffellauf. Wenn die eine Gruppe wieder weg wahr, kam die nächste. Vermutlich standen sie irgendwo auf dem Schiff Schlange. Alle wollten die Tochter des Teufels sehen und ihr die Hand schütteln! Irgendwann verkrümelte sich Mia in die Bordküche, die sie zufällig auf der Flucht gefunden hatte. So schön es auch war bewundert zu werden, aber das war ihr jetzt doch etwas zu viel. Und leider musste sie feststellen, dass sie auch in der Bordküche nicht allein war. Sie traf auf Sylvia und ihre Freundin Soraya, die in der Küche nach etwas Essbarem suchten.
Als Sylvia Mia erblickte versteinerte ihr Gesicht. »Oh, sieh an«, sagte sie bissig. »Ganz allein? Wo ist denn dein Babysitter geblieben?«
Mia trat zögerlich in den Raum und versuchte die Provokation zu überhören. »Er spricht mit Alva«, sagte sie.
Sylvia packte ein paar Getränkeflaschen in ihren Rucksack und sagte dabei: »Sonst hängt er dir doch ständig an der Backe. Naja«, seufzte sie, »ich kanns ja verstehen. Er macht das ja schon, seit du ein Baby bist.« Sie hob sich jetzt mit erstaunlicher Leichtigkeit den mit Flaschen bestückten Rücksack auf den Rücken und sah sie an. Dabei sah Mia zum ersten Mal all ihre Narben. »Aber dass dich 150 Leute begleiten und beschützen, die dich nicht einmal kennen, ist und bleibt mir ein Rätsel.« Mit diesen Worten ging sie an Miavorbei durch den langen Raum auf die Tür zu.
Mia sah ihr wütend nach. »Warum bist du dann hier?«, rutschte es ihr heraus, biss sich aber danach gleich auf die Lippe.
Sylvia drehte sich auf dem Absatz um und kam wieder ein paar Schritte auf sie zu. »Damit eins klar ist«, sagte sie wütend, »ich bin nicht deinetwegen hier. Dieses kranke Kind-des-Teufels-Schutzprogramm geht mir gewaltig gegen den Strich! Ich bin nur hier, weil ich mich an diesen Bastarden rächen will. Und ich hoffe inständig, dass einer von denen auftaucht, damit ich ihm den Kopf abreißen kann!« Dann drehte sie sich wieder um und verschwand mit wütenden, schnellen Schritten aus der Tür.
Soraya seufzte. »Nimms ihr nicht übel, Mia«, sagte sie. Sie packte gerade Unmengen an Kekspackungen in ihren Pullover und klemmte sich die, die nicht mehr hinein passten, unter die Arme, was aber durch ihr langes, schwarzes Haar gut verdeckt wurde. »Jona ist nicht der Einzige, der in die Zukunft blicken kann und gesehen hat, wie er deinetwegen stirbt.« Mia erschrak. Und Soraya erschrak ebenfalls. Sie biss sich auf die Lippe und sah Mia
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