Emilia - Herzbeben
davor, hob die Hand, so dass seine Handfläche auf die Bälle deutete und sagte: »Es ist eigentlich nicht schwer. Du musst es nur fühlen.« Einer der Bälle hob sich plötzlich in die Luft. Mia beobachtete ihn staunend. »Mit deinen Gedanken«, er deutete jetzt mit einem Finger auf seinen Kopf, »gibst du eigentlich nur die Richtung an. Du stellst dir vor, was passieren soll. Aber das Wichtigste ist das Gefühl.« Dann ließ er den Ball wieder fallen.
Mia sah ihm fragend ins Gesicht. »Was für ein Gefühl?«
Jona stellte sich jetzt ganz nah neben sie und deutete wieder auf die Bälle. »Es ist, als würdest du spüren, wie es sich für den Ball anfühlt zu fliegen und als würdest du spüren, wie es sich für die Luft anfühlt, den Ball zu tragen.«
In Mia brach wieder ein Vulkan aus. Seine Brust berührte ihre Schulter und sein Gesicht war ihr so nah, dass sie die Wärme seiner Haut spüren konnte. Ihr ganzer Körper kribbelte vor Aufregung. Doch sie versuchte die Bälle zu fixieren und wiederholte gedanklich die Worte, die er gerade gesagt hatte. Spüren, wie es sich für den Ball anfühlt zu fliegen, dachte sie immer wieder. Plötzlich hatte sie ihren Traum im Kopf. Den Traum von dem Jungen, dem Unwetter und dem Gefühl das Unwetter zu sein . In diesem Traum war sie der Regen gewesen, der Wind, der Hagel und der Nebel. Obwohl sie dieser Traum erneut so sehr aufwühlte, dass ihr Atem zitterte, versuchte sie sich zu konzentrieren und das Gefühl aus diesem Traum auf die Bälle zu übertragen. Anstatt derWind, war sie jetzt die Luft. Und an Stelle des Hagels wollte sie jetzt die Bälle fühlen. Doch sie sah erneut, wie der Hagel den Jungen traf und sie spürte genau, wie es sich für die harten Kugeln aus Eis anfühlte seine Knochen zu zertrümmern und auf dem Boden aufzuschlagen. Sie verlor sich in diesem Traum, wurde aber nur einen Augenblick später durch einen lauten Knall herausgerissen. Einer der Medizinbälle war auf dem Boden aufgeschlagen und ihm folgten die anderen, die oben an der Decke der Halle schwebten und nun wie Geschosse nach unten sausten. Sie konnte es nicht fassen. Wie hatte sie sie da so schnell hinauf befördert? Sie hatte gar nichts gemerkt! Die Bälle drohten die Schüler zu treffen, die jetzt panisch Schutz suchen wollten, doch in dem Gedränge nicht weit kamen. Mia sah die schweren Bälle schon auf die Körper schlagen und stand tatenlos und wie erstarrt da, sah zu, wie der nächste Ball neben jemandem auf dem Boden aufschlug und der nächste. All das geschah in Bruchteilen von Sekunden. Doch irgendjemand griff in das Bild in ihrem Kopf ein und schleuderte die restlichen Bälle alle gegen die Wand. Es knallte so laut, dass sie jedes Mal zusammenzuckte. Zwischen all den Schülern und Erwachsenen kam schließlich Ramon auf sie zu. Mit einem ernsten und vorwurfsvollen Blick. Mia sah Jona an. Seine Augen fixierten erschrocken ihr Gesicht. Und dann sah sie die ängstlichen Blicke all der anderen, die sich nach und nach alle auf sie legten, wie Gewichte. Schuldgefühle stiegen in ihr auf. Und sie waren so zerstörerisch, dass sie sich am liebsten sofort in Luft aufgelöst hätte. Sie lief los. Rannte zwischen all den Menschen hindurch, rempelte einige, die im Weg standen, an, schnappte sich ihren Rucksack, der noch am Eingang der Halle stand und verschwand. Sie riefen ihren Namen. Erst Ramon und dann Jona. Doch sie blieb nicht stehen. Sie rannte aus dem Gebäude. Heiße Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie über den Hof rannte. Und dann stand auf einmal Ramon vor ihr. So plötzlich, dass sie fast in ihn hinein gerannt wäre. Er hob mit einem schmerzerfüllten, mitfühlenden Blick den Arm und wollte ihr Gesicht berühren, doch sie wich ihm aus.
»Lass mich in Ruhe!«, schrie sie ihn an. »Lass mich bitte einfach nur mal allein!« Sein Blick zerriss ihr das Herz, doch als er von ihrzurückwich, lief sie ihm in die entgegengesetzte Richtung davon. Während sie an der Schule vorbei rannte, sah sie Jona aus dem Gebäude kommen. Doch auch ihn wollte sie im Moment nicht sehen. Was mussten sie jetzt alle von ihr denken? Sie hatte diese Schüler fast erschlagen! Die Schüler, die ihr helfen wollten. Nur deswegen waren sie heute alle dort. Was war sie nur für ein Mensch? Was war sie für ein Wesen ? Sie hasste sich. Sie hasste sich so sehr!
Neben der Schule führte ein schmaler Weg durch eine Gartensiedlung, die sich fast bis ins Unendliche erstreckte. Wie durch ein Labyrinth lief sie
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