Emily, allein
besonders im Winter. Sie machte sich über das Leben auf dem Lande nichts vor. Sie stammte von dort. Sie kannte die schreckliche Langeweile und Engstirnigkeit aus eigener Erfahrung, das lähmende Gefühl, Hunderte von Kilometern vom wahren Leben entfernt festzusitzen. Nur ein Stadtmensch konnte das als befreiend betrachten.
Sie hatte nicht viel zu Mittag gegessen und war froh, als Arlene zurückkehrte. Während Arlene sich einen Weg durch den Raum bahnte, zwischen den vielen Grüppchen hindurch, gafften die Leute ihr nach, als stecke ein Messer in ihrem Kopf. Sie ging einfach weiter und strahlte Emily zufrieden an, als trüge sie ein freudiges Geheimnis mit sich herum.
«Ich hab gerade Claude Penman und Liz draußen gesehen.» Sie legte die Hand auf Emilys Unterarm und beugte sich vor, um ihr mit leuchtenden Augen davon zu berichten. «Sie sitzt im Rollstuhl. Du solltest sie mal sehen. Sie sieht furchtbar aus.»
Der Tag der Ruhe
Am Sonntag fuhr Emily mit dem Olds zur Kirche. Sie und Arlene bevorzugten beide den Frühgottesdienst, und es war ein Vergnügen, den langen Wagen durch die grauen, leeren Straßen zu lenken und zu wissen, dass bei ihrer Rückkehr die Times auf sie warten würde.
Die Gemeinde bestand nur aus regelmäßigen Kirchgängern, zumeist älter, einer Gruppe, die so klein war, dass sie nur die ersten paar Reihen einnahm. Die Calvary Church war prachtvoll, ein pseudogotisches Gebäude, aber um Energie zu sparen, brannten nur die Lampen direkt über ihnen, und die Seitenflügel und die hinteren Bankreihen waren in Dunkelheit gehüllt. In der vorigen Nacht war es eiskalt gewesen, die Steine hielten die Kälte, und der Raum unter dem emporstrebenden Deckengewölbe war zu riesig, um beheizt werden zu können. Die Altargilde hatte den Altarraum mit frischen Kiefernzweigen geschmückt, und die kalte Luft war von deren Duft erfüllt. Emily ließ den Mantel zugeknöpft und betrachtete die flackernden, rauchenden Kerzen. Als Kind hatte sie das Adventsspiel und die herrlichen Wochen vor Weihnachten geliebt. Jetzt, wo sie den meisten ihrer irdischen Begierden entwachsen war, glaubte sie, die Sehnsucht nach der Ankunft Christi zu begreifen.
O komm, o komm, du Morgenstern,
lass uns dich schauen, unsern Herrn.
«Ich bin das Alpha und das Omega», rezitierte Pfarrer Lewis und wartete, bis die Bedeutung sich setzte, obwohl das bei diesen Leuten unnötig war, da sie sich von Natur aus zu den letzten Dingen hingezogen fühlten. Emily sah in den Worten ein Versprechen. Von Anfang bis Ende war ihr Leben, genau wie das von Henry oder den Kindern, sicher in den Glauben an Gott gebettet. So konnte sie auch an die Ewigkeit glauben, obwohl sie sich den Tod als endlose Finsternis vorstellte.
Jede Woche kam sie, um sich von der Musik und den schlichten, wohlgesetzten Worten der Liturgie inspirieren zu lassen. Zusammen mit Arlene begab sie sich zum Altar, legte eine Hand auf die andere, um den Leib und das Blut zu empfangen, und danach kniete sie mit geschlossenen Augen, die Stirn auf den gefalteten Händen, mit sich im Einklang, an ihrem Platz. Der Schlusschoral war laut, die Orgel klang triumphal, der Bass ließ die Luft vibrieren. Sie schüttelte Pfarrer Lewis die Hand und zog ihre Handschuhe an.
Draußen war die Welt klar und kalt, und als sie Arlene nach Hause fuhr, löste der Zauber sich auf, und der Tag erstreckte sich vor ihr. Sie würde mit dem Kreuzworträtsel beginnen. Margaret würde anrufen. Sie musste die Hühnerbrust aus dem Gefrierschrank holen. All das kam ihr so dürftig vor, dass sie kurz überlegte, ob sie Arlene absetzen und zum Elf-Uhr-Gottesdienst zurückkehren sollte.
Zu Hause legte sie Bachs Weihnachtsoratorium auf, machte sich eine Kanne Tee und blätterte in der Post-Gazette. Rufus legte sich neben die Heizung, damit er Emily im Auge behalten konnte. Emily nahm die Hochglanzreklame aus dem Nachrichtenteil, stapelte alles neben ihren Füßen und ließ dann die Kleinanzeigen und den Immobilienteil herausgleiten. Sie schnitt ihre Gutscheine aus, legte sie sorgfältig beiseite, brachte den Stapel in die Küche und packte ihn zum Altpapier.
Ohne die beiliegende Reklame war die Post-Gazette unglaublich dünn. Obwohl Emily auf die Lokalberichterstattung Wert legte und immer noch gern die Comics las, war sie froh, dass die Times ihr Gesellschaft leistete. Schon der Kulturteil und die Buchbesprechungen konnten ihr den Nachmittag retten. Wenn sie sich das Rätsel gut einteilte, reichte
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