Emily, allein
Velourstapete, die Gummibäume und die Ohrensessel, die Trophäenschränke und die Fischgrätböden - all das hatte sie schon vor sechzig Jahren empfangen, als Henry sie in die Welt der Maxwells eingeführt hatte. In Kersey hatte sie zwar im Clarion Hotel als Kellnerin gearbeitet, doch auf die Ausmaße des Speisesaals - gut und gerne hundert Tische, die mit Kristallkelchen, Goldrandporzellan und schwerem Silberbesteck mit eingraviertem Monogramm eingedeckt waren - war sie nicht gefasst gewesen. Durch Zufall hatte an jenem ersten Abend auch ein Kommilitone aus ihrem Wirtschaftsseminar an ihrem Tisch bedient. Wie ein Kadett in ein makelloses weißes Jackett mit goldenen Knöpfen gekleidet, hatte er ihnen wortlos Wasser eingeschenkt und war dann weitergegangen, ohne ihr gemeinsames Geheimnis zu enthüllen. Es hatte Jahrzehnte gedauert, bis Emily das Gefühl hatte dazuzugehören, als hätte sie sich dieses Anrecht erst durch langjährige Dienste verdienen müssen. Jetzt gehörte sie dem Club ohne ihr Zutun (durch die starren Satzungen des Vorstands) an, denn Henrys Mitgliedschaft war auf sie übergegangen, und Arlene war für immer ihr Gast, obwohl sie schon seit ihrer Geburt herkam.
Jedenfalls war der Club ein Ort, wo sie hinkonnten. Diese regelmäßigen Veranstaltungen waren Stammestreffen und dienten dazu, seine Treue unter Beweis zu stellen und sich über das Schicksal der anderen Mitglieder zu informieren. So sehr Emily das auch leugnen oder sich wünschen mochte, es wäre anders, sie war dennoch neugierig, den neuesten Klatsch zu erfahren.
«Habt ihr das von Bibi Urquhart gehört?», fragte Lorraine in bestürztem Ton.
Hatten sie nicht.
«Sie zieht um - wetten, dass ihr nicht ratet, wohin?»
«Nach Fort Lauderdale», sagte Emily.
«Ihr habt noch einen Versuch.»
«West Palm», erwiderte Arlene.
«Butler.»
Beide blickten Edie an, um zu sehen, ob es ein Scherz war.
Sie nickte und zuckte angesichts dieses verrückten Gedankens mit den Schultern.
«Kapier ich nicht», sagte Arlene. «Sie hat da doch keine Verwandten, oder?»
«Sie wollte weg aus der Stadt», erklärte Edie. «Und dann hat sie dieses niedliche Häuschen beim Country Club gefunden, sehr preiswert. Mit Wald und einem Teich. Klingt idyllisch.»
«Und die Steuern sind nicht so hoch», sagte Lorraine. «So viel niedriger können sie auch nicht sein», entgegnete Arlene.
«Ich hätte gegen ein Haus auf dem Lande nichts einzuwenden», sagte Edie. «Solange ich nicht da wohnen müsste.»
«Ein Sommerhaus», rief Arlene, womit sie ihr altes Haus in Chautauqua meinte, das Emily nach Henrys Tod verkaufen musste, und das würde ihr Arlene nie verzeihen.
«Das wird teuer», sagte Emily. «Besonders wenn man nur ein paar Wochen im Jahr da ist.»
«Bibi meint es ernst», entgegnete Lorraine. «Sie bietet ihr Haus zum Verkauf an.»
«Und dabei ist das Haus so schön», sagte Arlene und hielt sich die Hand vor den Mund, als wäre es abgerissen worden.
«Es ist zauberhaft», erwiderte Edie. «Aber wenn man allein lebt…»
«… ist es einfach zu groß», beendete Lorraine den Satz.
Sie spekulierten in leisem Ton über die ursprüngliche Preisforderung, und das führte zu einem Gespräch über den augenblicklichen Zustand von Squirrel Hill, den Wertverlust in anderen Stadtvierteln, das Versagen der Schulen und die geringere Besteuerungsgrundlage - eigentlich ein Argument, das dagegen spreche, die Stadt zu verlassen, wollte Emily einwerfen, doch sie waren schon bei den Wahlen, dem Rennen um die Präsidentschaft und dem noch größeren Problem, dass die Republikanische Partei, die sie kannten, nicht mehr existierte, dass die Rechten sie an sich gerissen hatten und es niemanden mehr gab, den man wählen konnte, eine Klage, die Emily immer wieder gehört hatte, und eine Tatsache, an der sich, wie bei den meisten Weltproblemen, durch Smalltalk nichts ändern ließ.
Lorraine und Edie sagten, sie würden mit dem Aufzug zum Speisesaal hinauffahren. Arlene erwiderte, sie und Emily würden es mit der Treppe aufnehmen. Sie würden sich gleich oben sehen.
Doch sie ließen sich Zeit, um genau das zu vermeiden. Arlene ergriff die Gelegenheit, um auf eine Zigarette nach draußen zu gehen. Während Emily wartete und die Eingangshalle begutachtete, dachte sie, dass Bibi vielleicht recht hatte und es für Frauen in ihrem Alter angemessener war, abgeschieden zu leben. Und doch ließ ihr die Frage keine Ruhe, was man dort draußen am Ende der Welt anstellen sollte,
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