Emily, allein
ihm wartete Margaret mit müdem Lächeln, bis sie an die Reihe kam. Sie sah überraschend gut aus. Sie war nicht mehr so dünn wie im Sommer, als Emily befürchtet hatte, sie würde hungern und bis zum Exzess Sport treiben, genau wie sie sich als Kind aufs Essen, als Jugendliche auf Drogen oder als Erwachsene auf den Alkohol gestürzt hatte. Ihre Wangen waren voller, und obwohl Emily das als gutes Zeichen betrachtete, wusste sie aus langer, schmerzlicher Erfahrung, dass, so wie ein Rückfall zum Genesungsprozess gehört, bei Margaret alles nur vorübergehend war und außerhalb ihrer Kontrolle lag, sogar - letztendlich vielleicht - ihr Glück.
Emily streckte die Hände aus und nahm sie in die Arme.
«Du hast es geschafft.»
«Gerade so», sagte Margaret.
Hilfestellung
«Das ist er», sagte Emily und drückte zweimal auf den automatischen Türöffner, woraufhin die Schlösser klickten und das Warnblinklicht orange aufblitzte.
«Nicht schlecht, Gram», sagte Justin und nickte beifällig. «Mir gefällt die Farbe», sagte Sarah. Margaret kümmerte sich ums Gepäck und verstaute alles im Kofferraum.
«Warum setzt du dich mit deinen langen Beinen nicht nach vorn», forderte Emily Justin auf.
Während die anderen einstiegen, zeigte sie ihm, wie man den Sitz nach vorn schob. Hinter ihm legte Margaret den Kopf zurück und hielt sich den Arm wie eine Schlafmaske vor die Augen.
«Habt ihr da hinten alle genug Platz?», fragte Emily. «Alles in Ordnung», antwortete Sarah. Bisher hatte Margaret noch kein Wort zu dem Wagen gesagt, und Emily fragte sich, ob sie sich wegen ihrer ganzen Geldprobleme darüber ärgerte, verscheuchte den Gedanken jedoch wieder. Warum war es wichtig, dass sie etwas sagte? Und dennoch ließ es Emily keine Ruhe.
Das Parkhaus war das reinste Labyrinth. Sie folgte den Schildern eine geschwungene Rampe hinauf und musste am Automat ihre Kartenleuchte einschalten, um den Parkschein zu finden.
Sie steckte ihn in den Schlitz. Der Automat spuckte ihn wieder aus.
Sie versuchte es noch mal.
Hinter ihr stand ein weiterer Wagen.
«Was mache ich falsch? Kann mir das jemand sagen?»
«Der Pfeil gehört nach oben», sagte Margaret schließlich in ausdruckslosem Ton, als sei das offensichtlich. «Der Magnetstreifen muss auf der richtigen Seite sein.»
Margaret hatte recht, und schon waren sie frei.
«In diesen Dingen scheinst du ein Profi zu sein.» Emily blickte kurz in den Rückspiegel.
Margaret hielt immer noch den Arm vors Gesicht. «Nein. Der Pfeil gehört immer nach oben.»
«Danke», sagte Emily. «Das muss ich mir merken.»
Die perfekte Gastgeberin
Am nächsten Morgen besuchte Margaret mit ihnen den Elf-Uhr-Gottesdienst und ließ die Kinder ausschlafen. Sarah schlage sich mit einer Erkältung herum, und Justin sei noch ganz geschafft von den Abschlussprüfungen. Emily fragte sich, warum Margaret es für nötig hielt, die beiden zu entschuldigen. Sie waren keine regelmäßigen Kirchgänger und kamen schon seit Jahren nicht mehr mit, ein Umstand, den Emily verwirrend und betrüblich fand. Sie wollte nicht, dass sie sich dazu verpflichtet fühlten, doch sie hätte es schön gefunden, wenn sie sich bemüht hätten. Letzte Nacht war es für alle spät gewesen.
Normalerweise wäre sie noch zum Kaffeekränzchen geblieben, um Margaret den anderen vorzuführen, doch sie mussten zu Mittag essen, bevor sie den Baum kauften. Als sie nach Hause kamen, lief oben das Wasser, und die PostGazette lag im ganzen Wohnzimmer verstreut. Das Küchenbrett war mit Krümeln bedeckt. Im Spülbecken standen eine marmeladenverschmierte Untertasse und ein Glas mit darin festgetrocknetem Milchring. Justin hatte sich in Henrys Arbeitszimmer verkrochen, saß mit zerzaustem Haar in T-Shirt und Jogginghose da und schrieb auf seinem Laptop E-Mails. Er gestand, dass Sarah ihm mit dem Duschen zuvorgekommen war, und zuckte mit den Schultern, als sei er machtlos.
«Du kannst in meinem Bad duschen», sagte Emily. «Los, die Zeit läuft, Po key Joe.»
«Lass mich bloß noch zu Ende schreiben.»
Als er fertig war, lief das Wasser nicht mehr. Er stöpselte seinen Adapter aus und wickelte die Schnur darum, klemmte den Laptop unter den Arm und schleppte sich nach oben.
«Er bewegt sich ja wie in Zeitlupe», sagte Emily.
«Die beiden sind im Ferienmodus», erwiderte Margaret.
«Ist es das?»
«Ich glaube, die beiden bekommen nicht genug Schlaf.»
Emily musste lachen. «Heute früh schon.»
Als Sarah mit
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