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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Irgendwas, um ihren Besuch zu verlängern. Nach jenem ersten endlos langen Tag war die Zeit wie im Fluge vergangen. Emily spürte, wie sie ihnen unter den Händen zerrann.
    Da Margaret und Arlene halfen, war in der Küche nicht genug Platz. «Zu viele Köche», witzelte Arlene, doch der Truthahn war perfekt. Sie aßen zu Abend, ließen das Geschirr stehen, versammelten sich um den Kamin, tranken Kaffee, bewunderten den Baum und erzählten sich die alten Geschichten. Rufus lag vor Emilys Füßen, den Kopf auf I-Ah, ein neues Stofftier, gelegt, als würde es sich um ein Kissen handeln. Sarah entschuldigte sich schon bald, bedankte sich bei allen für ihre Geschenke und warf ihnen Gutenachtküsse zu, um sie nicht anzustecken.
    «Ist schon okay, wenn du nach oben gehen willst», sagte Margaret zu Justin, den sein neues iPhone völlig in Anspruch nahm. «Ich kümmere mich ums Geschirr.»
    «Frohe Weihnachten», sagte er und umarmte jede von ihnen.
    «Zum Glück hab ich die Quittungen aufgehoben», sagte Arlene, als er gegangen war, denn der Pullover, den sie ihm geschenkt hatte, war medium, doch er brauchte inzwischen large. Und Margaret hatte sie ein zweites Exemplar von Eat, Pray, Love geschenkt - das erste stammte von Kenneth und Lisa -, aber im Großen und Ganzen waren die Geschenke ein voller Erfolg gewesen.
    Margaret schürte das Feuer, setzte sich neben Rufus auf den Fußboden und strich ihm das Fell glatt. Emily hatte sie gebeten, ihr nichts allzu Teures zu besorgen - ihr Geschenk sei einfach, dass sie da wären doch das Foto aus jenem letzten Sommer, auf dem Emily mit allen Enkelkindern auf dem Steg in Chautauqua stand, bedeutete ihr sehr viel. Wo hatte sie das bloß her?
    «Du bist nicht die Einzige, die Fotos hat.»
    «Ich kann kaum glauben, dass das vor sieben Jahren war.»
    «Ich schon», sagte Arlene.
    Als das letzte Holzscheit zusammensackte und das Feuer allmählich erlosch, griffen sie zu der Schachtel Bolan’s-Pralinen, die ihr Arlene jedes Jahr schenkte, obwohl sie vom Kürbiskuchen und den Weihnachtsplätzchen eigentlich schon pappsatt waren, bis Margaret, ächzend und mit herausgestreckter Zunge, den Deckel wieder schloss.
    Trotz Emilys Protesten machten sie die Küche zu dritt sauber. In die Geschirrspülmaschine passte nicht alles hinein. Das Kristall und die Töpfe und Pfannen mussten sie mit der Hand spülen. Margaret spülte, und Emily und Arlene trockneten ab. Hüfte an Hüfte arbeiteten sie mühelos zusammen, wie ein richtiges Team, sie schwatzten und lachten, verstummten wieder, während sie alles wegräumten, und Emily war zufrieden. So düster der Tag auch begonnen hatte, er hatte ein gutes Ende genommen. Wenn das ihr letztes gemeinsames Weihnachtsfest war, dann sollte Margaret dieses Bild im Gedächtnis behalten.
    Als sie fertig waren, musste Arlene nach Hause. Sie würde am nächsten Morgen zum Flughafen kommen, um die drei zu verabschieden, doch Margaret brachte sie zum Wagen und umarmte sie zum Abschied.
    «Die Kälte tut gut», sagte Margaret auf der Treppe und winkte ihr nach.
    «Morgen schneit es natürlich», sagte Emily.
    «Solange es erst am Nachmittag losgeht.»
    «Ich glaube, so haben sie es vorhergesagt.» Es sollten bloß ein paar Zentimeter Schnee fallen, doch einen Augenblick stellte sie sich vor, am Morgen gäbe es einen Sturm, der die Straßen unbefahrbar machte, und die drei müssten noch ein paar Tage bleiben.
    Im Haus schlug die Standuhr und erinnerte Emily daran, dass sie in sechs Stunden wieder aufstehen mussten.
    «Ist wirklich kein so schlechtes Bäumchen», sagte Margaret.
    «War doch noch schön, oder?»
    «Das hat Linus in dem Film auch gesagt.»
    «Kapiert.»
    «Es war schön. Alles.»
    «Wirklich?»
    «Ja. Danke für die Einladung.»
    «Ist doch selbstverständlich», sagte Emily. «Du weißt ja, du bist immer willkommen.»
    «Ich weiß.»
    «Ich wünschte, Sarah ginge es besser.»
    «Ich hoffe, sie hat dich nicht angesteckt.»
    «Vielleicht kann sie ja diesen Sommer nach Chautauqua kommen. Sie könnte Max mitbringen.»
    «Ich erzähle ihr, dass du es vorgeschlagen hast.»
    «Ich hab kaum ein Wort mit ihr geredet.»
    «Ich weiß», sagte Margaret. «Das tut ihr bestimmt leid.»
    Sie bot an, beim Abschließen zu helfen, doch Emily sagte, das sei schon in Ordnung, inzwischen beherrsche sie das aus dem Effeff. Am Fuß der Treppe umarmten sie sich noch einmal - «Feliz Navidad», sagte Margaret -, und Emily ging durch die Zimmer und schaltete überall das Licht

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