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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Veränderungen im Haus. Als sie nach Hause kam, wimmelte sie Arlene ab, schloss die Tür hinter sich und war wieder allein, ihre Ruhe und Privatsphäre wiederhergestellt. Der Weihnachtsbaum verlieh dem Wohnzimmer immer noch eine festliche Stimmung, doch ohne die gesteigerte Erwartungshaltung, die den Advent zu Emilys liebster Jahreszeit machte. Es gab nichts mehr, worauf sie warten konnte - die Feiertage waren vorbei. Sie würde die Kinder erst im Sommer wiedersehen, eine Woche lang, und Sarah vielleicht erst an Thanksgiving, wenn überhaupt.
    «Ja, Mr. Poofus», sagte sie und nahm sein Gesicht in beide Hände, «jetzt sind wir bloß noch zu zweit. Da brauchst du mich mit niemandem mehr zu teilen.»
    Als sie die Bettlaken und die Kissenbezüge abzog, folgte er ihr durchs obere Stockwerk. Justin hatte die nassen Handtücher auf sein ungemachtes Bett geworfen, und als Emily «Also wirklich» rief, dachte Rufus, er sei gemeint. Margaret hatte in ihrem alten Zimmer die Erinnerungsfotos auf der Frisierkommode zur Seite geschoben, um Platz zu schaffen. Zusammen mit einem vollen Glas Wasser, das einen gespenstischen Ring auf ihrem Nachttisch hinterließ, hatte Sarah ihr Handy-Ladegerät vergessen, das immer noch angeschlossen war und Strom verbrauchte. Auf der Duschablage im Bad in der Diele stand ein teures Shampoo mit Pflegespülung. An dem Haken an der Tür hing ein rot kariertes Nachthemd. Emily sammelte diese vergessenen Sachen in einem Karton, den sie in Henrys Arbeitszimmer stellte, um ihn irgendwann mit der Post zu verschicken, und machte weiter. Sie holte den Alkohol wieder hoch und verteilte die Kleenex-Schachteln völlig neu. Nachdem sie einmal begonnen hatte, fiel es ihr schwer, wieder aufzuhören, als würden ihr die drei, wenn sie beschäftigt war, nicht so sehr fehlen. Zimmer für Zimmer machte sie alles sauber, stellte etwas an seinen alten Platz oder rückte es zurecht, und in ein paar Stunden hatte sie alles wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt und jegliche Spur von Unordnung getilgt, als wären Margaret, Sarah und Justin nie da gewesen.
     
    Angeschlagen
     
    Es begann mit einem harmlosen Husten, einem trockenen Kitzeln, das sich über Nacht zu einem Kratzen im Hals entwickelte. Emily begann zu niesen - manchmal so unkontrollierbar, dass sie in die Hose machte, aber das kam auch in besseren Zeiten vor. Ihr Kopf füllte sich mit Schleim, der ihr die Ohren verstopfte, und sie fühlte sich dumpf und schwerfällig, als befände sie sich unter Wasser.
    Ihre Krankheit war eine Neuigkeit, von der sie Gebrauch machte und die sie überall verbreitete, als wäre ihr etwas Interessantes passiert. Als sie mit Margaret telefonierte, bezeichnete sie das Ganze als Sarahs Weihnachtsgeschenk, ein Scherz, den sie gegenüber Kenneth, der befürchtete, es sei eine Halsentzündung, wiederverwendete. Sie wusste seine Sorge zu schätzen, verwarf aber seine Diagnose. Sarah habe keine Halsentzündung gehabt, nur eine schwere Erkältung. Nein, wie Arlene gewarnt habe, in ihrem Alter müsse sich Emily besonders vor einer Lungenentzündung in Acht nehmen.
    «Was für Medikamente nimmst du?», fragten sie und nannten Emily Pillen, von denen sie noch nie gehört hatte und denen sie nicht traute.
    Alle waren der Meinung, sie müsse sich ausruhen, aber es gab zu viel zu tun.
    «Zum Beispiel?», fragte Margaret und schlug dann vor, dass Arlene Emilys Leihbücher zurückbringen und die gute Tischdecke ihrer Mutter abholen könnte.
    «Ich bin nicht bettlägerig», entgegnete Emily. «Mir geht es bloß nicht so gut.»
    «Sie würde dir bestimmt gern helfen.»
    «Versprochen, wenn ich Hilfe benötige, ist sie die Erste, die ich anrufe. Was meinst du dazu?»
    «Aber du tust es ja nicht», sagte Margaret. «Weil du störrisch bist.»
    Später meldete sich Arlene, um ihre Dienste anzubieten.
    «Warum hab ich bloß das Gefühl, ihr habt euch gegen mich verschworen?», fragte Emily, obwohl sie all das natürlich selbst ausgelöst hatte. Von den Heiligen der Moderne bewunderte sie vor allem jene Märtyrer, die schweigend litten - Bonhoeffer, von Moltke -, auch weil sie es selbst nicht fertigbrachte.
    Es war zehn Uhr früh, und sie wollte einfach nur schlafen. Benebelt schrieb sie ihre Dankesbriefe, machte sich Suppe mit Toast zum Mittagessen, kippte eine Verschlusskappe voll übel schmeckendem DayQuil hinunter und legte sich ins Bett. Draußen war es stürmisch, die Telefonleitungen schwangen hin und her, und eine Weile beobachtete sie,

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