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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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wie sich das Licht an der Zimmerdecke veränderte, und hörte Rufus beim Atmen zu, ihre umherwirbelnden Gedanken von der Stille aufgebauscht. Ihre Lunge war wie eingeschnürt, die Nasennebenhöhlen verstopft, und als sie die geschlossene Tür betrachtete, fiel ihr ein, wie ihre Mutter, wenn Emily als Kind krank war, Suppe gekocht, sie auf einem Tablett heraufgebracht und ihr eine Serviette in den Ausschnitt des Schlafanzugs gesteckt hatte. Da ihre Mutter mit zwei Dutzend Erstklässlern in einem Raum eingepfercht war, fing sie sich immer irgendwas ein, und als Jugendliche hatte Emily mehrmals die Gelegenheit bekommen, sich zu revanchieren und das Tablett feierlich aus der Küche die Treppe hinauf und durch den Flur zu tragen. «Das ist aber lieb von dir», hatte ihre auf die Kissen gestützte Mutter hilflos gesagt und Emily die Genugtuung vermittelt, eine Schuld zu begleichen, genau wie sie jetzt, trotz aller Beteuerungen, dass es ihr gutgehe, das Gefühl hatte, für sich selbst sorgen zu müssen, sich angesichts ihrer Schwäche und der Ungerechtigkeit des Ganzen kindlichen Tränen überließ und dann, in einen unruhigen Schlaf gesunken, vom Sommer in Kersey träumte und davon, wie Henry und sie in London vergeblich versuchten, ein Taxi anzuhalten. Sie standen mitten in einem Kreisverkehr, und der Verkehr brandete aus allen Richtungen heran. Jedes Mal, wenn Henry auf die Straße trat, befürchtete sie, er würde überfahren werden, und zerrte am Ärmel seines alten Trenchcoats, um ihn wieder auf den Bordstein zu ziehen.
    Als sie erwachte, war es im Zimmer dunkel, und die Bettdecke erdrückte sie. Sie schwitzte, war knallrot und fühlte sich fiebrig, ein Eindruck, den das Thermometer bestätigte. Das Schlucken der Bufferin-Tabletten tat weh.
    Sie zog Morgenrock und Hausschuhe an und gab Rufus etwas zu fressen, hatte selbst jedoch keinen Appetit. Zerzaust und muffig setzte sie sich an den Frühstückstisch, stocherte in den Resten des Truthahns und im Kartoffelbrei herum und fürchtete sich jedes Mal vor dem Hinunterschlucken. Es war zu spät, um in Dr. Sayids Praxis anzurufen. Stattdessen rief sie Arlene an, die ihren Plan sinnvoll fand.
    Am nächsten Morgen war sie heiser. Tiffany in Dr. Sayids Praxis hatte Mitleid mit ihr und schob sie dazwischen. Arlene schlüpfte wieder in ihre alte Rolle als Chauffeurin und fuhr sie, wofür Emily dankbar war. Im Taurus stank es frisch nach Zigaretten, doch sie war zu erledigt, um Arlene deswegen auf die Nerven zu gehen.
    Zu Dr. Sayid ging sie, seit Dr. Runco im Ruhestand war und ihm seine Patienten überlassen hatte. Von Anfang an gefiel er ihr besser, das hatte sie überrascht. Er war jünger und dennoch förmlich und sprach jede Silbe einzeln in bezauberndem Bombayer Akzent aus. Auch er liebte Kreuzworträtsel, hatte seine Assistenzzeit an der Johns Hopkins University verbracht, und deshalb hielt sie ihn, vielleicht ungerechtfertigterweise, für scharfsinniger als Dr. Runco, der sein Examen an ihrer eigenen Alma Mater, der Pitt University, gemacht hatte. Wie ihr Vater gesagt hätte, er war auf Draht. Er war auch offener zu ihr und behandelte sie als ebenbürtig, was Emily zu schätzen wusste, da sie nicht empfindlich war. Er konnte ohne jegliche Einleitung die schlimmsten Nachrichten überbringen und erwartete nicht nur, dass sie sich damit abfand, sondern auch sofort mit ihm über die Behandlungsmöglichkeiten sprach. Wie sie jedem, der ihr zuhörte, erzählte, war diese Freimütigkeit zum jetzigen Zeitpunkt ihres Lebens genau das, was sie brauchte.
    Heute wurde sie nach einer halben Stunde im überfüllten Wartezimmer von Mary, einer ausgebildeten Krankenschwester, in Empfang genommen, die kurz ihre Angaben notierte, die Vitalparameter überprüfte und ihre Krankenakte auf den neuesten Stand brachte. Mary machte einen Abstrich in der Kehle, wobei Emily würgen musste, bat sie dann, einen dünnen Kittel anzuziehen, und ließ sie wieder allein.
    Warten und Krankheit war beides eine Art Vorhölle. Gemeinsam bewirkten sie eine Art Trance, und während Emily, sich ihrer falschen Körperhaltung bewusst, in dem kleinen, mit anatomischen Zeichnungen geschmückten Raum auf dem papierbedeckten Untersuchungstisch saß, verspürte sie eine zeitlose Leere, als hinge nicht sie, sondern der Rest der Welt völlig in der Luft.
    Sie sah Henry in dem Traum ein schwarzes Taxi herbeiwinken - vermutlich der Tod, oder war das zu einfach gedacht? Sie griff nach seinem Mantel und versuchte ihn

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