Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
aber es gefällt mir nicht, wie Sie sich da betragen haben. Wenn Sie daran gedacht hätten, dass Hareton genau wie Master Heathcliff Ihr Vetter ist, hätten Sie fühlen müssen, wie unpassend es war, sich so zu benehmen. Jedenfalls war es ein lobenswerter Ehrgeiz von ihm, dass er es Linton gleichzutun wünschte, und wahrscheinlich hat er es nicht nur gelernt, um sich damit zu brüsten. — Sie haben damals zweifellos Anlass gegeben, dass er sich seiner Unwissenheit schämte und dass er wünschte, dem Zustand abzuhelfen und Ihnen zu gefallen. Dass Sie seine mangelhaften Versuche belacht haben, war sehr ungehörig. Wenn Sie in den gleichen Verhältnissen aufgewachsen wären wie er, würden Sie dann etwa gebildeter sein? Er war als Kind genauso gescheit und aufgeweckt wie Sie, und es kränkt mich, dass er jetzt verachtet wird, weil der schlechte Heathcliff ihn so ungerecht behandelt hat.«
»Nun, Ellen, ich hoffe, du wirst deshalb nicht gleich weinen«, rief sie, erstaunt über meinen Ernst. »Aber warte ab, du wirst hören, ob er das Abc gelernt hat, um mir zu gefallen, und ob es der Mühe wert war, zu diesem Grobian höflich zu sein. Ich trat ein; Linton lag auf der Bank und richtete sich halb auf, um mich zu begrüssen.
›Ich bin heute abend krank, Catherine, mein Liebling‹, sagte er, ›und du musst die Unterhaltung bestreiten und mich zuhören lassen. Komm, setz dich zu mir. Ich wusste, dass du dein Wort nicht brechen werdest, und bevor du gehst, werde ich dir wieder ein Versprechen abnehmen.‹
Ich wusste gleich, dass ich ihn nicht necken durfte, weil er krank war; darum sprach ich leise mit ihm, stellte keine Fragen und vermied alles, was ihn reizen konnte. Ich hatte ihm einige meiner schönsten Bücher mitgebracht; er bat mich, aus einem etwas vorzulesen, und ich wollte ihm gerade den Willen tun, als Earnshaw, der durch Grübeln auf boshafte Gedanken gekommen war, die Tür aufriss. Er kam auf uns zu, packte Linton am Arm und schleuderte ihn von seinem Sitz herunter.
›Geh in dein eignes Zimmer‹, sagte er mit einer vor Zorn bebenden Stimme, und sein Gesicht war rot vor Zorn. ›Nimm se mit zu dir, wenn se dich besuchen kommt; du sollst mich nich von hier verdrängen. Macht, dass ’r rauskommt, alle beide!‹ Er fluchte und ließ Linton keine Zeit, zu antworten; denn er warf ihn fast in die Küche, ballte die Fäuste, als ich ihm folgte, und hatte nicht übel Lust, mich niederzuschlagen. Im Augenblick war ich erschrocken und ließ eines der Bücher fallen; er warf es mir nach und sperrte uns aus. Ich hörte ein krächzendes, boshaftes Gelächter neben dem Herd, und als ich mich umwandte, entdeckte ich dort den widerwärtigen Joseph, der dastand, sich die knochigen Hände rieb und zitterte.
›Ich wusst doch, dass ’rs euch geben würde. Er is ’n großartger Bursch, der hat die richtige Art. Er weiss’s, ha, er weiss’s so gut wie ich, wer hier der Herr sein sollt. — Hahaha! Er hat euch ordentlich auf’n Trab gebracht. Hahaha!‹
›Wo sollen wir hingehen?‹ fragte ich meinen Vetter, ohne den Spott des alten Scheusals zu beachten.
Linton war ganz weiss und zitterte. In dem Augenblick war er gar nicht hübsch, Ellen. O nein, er sah entsetzlich aus; denn sein schmales Gesicht und seine großen Augen waren durch einen Ausdruck rasender, ohnmächtiger Wut ganz entstellt. Er packte die Klinke und rüttelte an der Tür: sie war von innen verschlossen.
›Wenn du mich nicht hineinlässt, werde ich dich umbringen! Wenn du mich nicht hineinlässt, werde ich dich umbringen!‹ Er rief es nicht, sondern kreischte: ›Teufel! Teufel! Ich werde dich umbringen!‹
Joseph stiess wieder sein krächzendes Gelächter aus.
›Ha, das is der Vater‹, schrie er, ›das is der Vater! Wir ham immer auch was von der andern Seite in uns. Mach dir nix draus, Hareton, Junge, hab keine Angst, er kann nich an dich ran.‹
Ich fasste Linton bei den Händen und versuchte ihn wegzuziehen; aber er schrie so entsetzlich, dass ich es wieder sein ließ. Endlich wurde sein Geschrei von einem furchtbaren Hustenanfall erstickt, Blut strömte aus seinem Mund, und er fiel zu Boden. Ich rannte, vor Schrecken schwach, in den Hof und rief, so laut ich konnte, nach Zillah. Sie hörte mich bald; sie war in einem Schuppen hinter der Scheune beim Melken der Kühe, stand eiligst von ihrer Arbeit auf und erkundigte sich, was los wäre. Ich war so ausser Atem, dass ich nichts erklären konnte; ich zerrte sie hinein und sah mich nach
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