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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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nicht noch mehr Unwahrheiten erfinden soll.‹
    ›Setz dich und nimm deinen Hut ab, Catherine‹, antwortete er. ›Du bist so viel glücklicher als ich, dass du besser sein solltest. Papa spricht so oft über meine Fehler und zeigt mir so deutlich seine Verachtung, dass es nur natürlich ist, wenn ich kein Selbstvertrauen habe. Häufig glaube ich selber, dass ich so überflüssig bin, wie er behauptet, und dann fühle ich mich verdriesslich und verbittert und hasse alle Menschen. Ich bin unnütz und übellaunig und fast immer missmutig, und wenn du willst, magst du mir Lebewohl sagen, und du wirst ein Ärgernis los sein. Nur, Catherine, lass mir Gerechtigkeit widerfahren; glaube mir, dass, wenn ich so süss, so freundlich und so gut sein könnte, wie du es bist, ich es sein würde, und noch bereitwilliger so glücklich und so gesund. Und glaube mir, deine Güte hat mich veranlasst, dich tiefer zu lieben, als wenn ich deine Liebe verdiente. Und obwohl ich nicht anders kann, als dir meine wahre Natur zu zeigen, bedauere und bereue ich es und werde es bedauern und bereuen, bis ich sterbe.‹
    Ich fühlte, dass er die Wahrheit sprach, und ich fühlte, dass ich ihm verzeihen musste; und wenn er im nächsten Augenblick wieder streiten würde, müsste ich ihm wieder verzeihen. Wir hatten uns versöhnt, aber wir weinten beide, solange ich dort blieb, nicht nur aus Kummer, und es tat mir leid, dass er so ein unglückliches Wesen ist. Er wird seine Freunde nie in Ruhe lassen und wird selbst nie zur Ruhe kommen.
    Seit jenem Abend bin ich immer in sein kleines Wohnzimmer gegangen, weil sein Vater am Tage darauf wiederkam.
    Etwa dreimal, glaube ich, waren wir vergnügt und voller Hoffnung wie am ersten Abend; meine übrigen Besuche waren trübe und teils durch Lintons Selbstsucht und Bosheit, teils durch seine Krankheit gestört. Doch habe ich gelernt, das eine mit so wenig Verdruss zu ertragen wie das andere. Mr. Heathcliff meidet mich absichtlich, ich habe ihn überhaupt kaum gesehen. Vorigen Sonntag allerdings, als ich früher kam als sonst, hörte ich, wie er den armen Linton wegen seines Benehmens am Abend vorher grausam beschimpfte. Ich kann mir nicht erklären, woher er es wusste, es sei denn, dass er gehorcht hätte. Linton hatte sich zwar sehr herausfordernd benommen, aber das ging nur mich etwas an, und ich unterbrach Mr. Heathcliffs Strafpredigt, indem ich eintrat und ihm meine Meinung sagte. Er brach in Lachen aus und entfernte sich mit den Worten, er sei froh, dass ich die Sache so auffasse. Seitdem, habe ich Linton gesagt, muss er seine Ungezogenheiten im Flüsterton sagen.
    Nun hast du alles gehört, Ellen, und weisst, dass man mich nicht hindern kann, nach Wuthering Heights zu reiten, ohne zwei Menschen unglücklich zu machen. Ausserdem brauchen meine Besuche dort, wenn du nur Papa nichts davon sagst, keinen Menschen in seiner Ruhe zu stören. Du wirst doch nichts erzählen, nicht wahr? Es wäre sehr herzlos von dir.«
    »Ich muss mir das bis morgen durch den Kopf gehen lassen, Miss Catherine«, entgegnete ich. »Das bedarf des Nachdenkens, und nun will ich Sie Ihrer Ruhe überlassen und gehen und es mir überlegen.«
    Ich überlegte es laut in Gegenwart meines Herrn; denn ich ging geradenwegs aus ihrem Zimmer zu ihm und erzählte ihm die ganze Geschichte, nur ließ ich ihre Unterhaltungen mit ihrem Vetter weg und erwähnte Hareton überhaupt nicht. Mr. Linton war bestürzter und betrübter, als er mich merken lassen wollte. Am Morgen erfuhr Catherine meinen Vertrauensbruch und hörte gleichzeitig, dass ihre heimlichen Besuche ein Ende hätten. Vergeblich weinte sie, lehnte sich gegen das Verbot auf und flehte ihren Vater an, Mitleid mit Linton zu haben. Der einzige Trost, der ihr gewährt wurde, war das Versprechen, dass Mr. Edgar ihm schreiben und ihm freistellen werde, wann er wolle, nach Thrushcross Grange zu kommen, mit der Erklärung, er dürfe nicht mehr erwarten, Catherine in Wuthering Heights zu sehen. Wenn er Kenntnis vom Charakter und vom Gesundheitszustand seines Neffen gehabt hätte, würde er vielleicht sogar dieses geringfügige Versprechen nicht gegeben haben.
     
     

Fünfundzwanzigstes Kapitel
    DIESE DINGE ereigneten sich im vorigen Winter, sagte Mrs. Dean, vor kaum einem Jahr. Vorigen Winter hätte ich nicht gedacht, dass ich sie nach einem weiteren Jahr einem Fremden zu seinem Zeitvertreib erzählen werde. Aber wer weiss, wie lange Sie für die Familie ein Fremder bleiben werden. Sie sind

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