Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
Vom Netzwerk:
plötzlich aufstand und mich zu erkennen gab. Die Überraschung versteinerte sie einen Augenblick. Sie stiess einen unverständlichen Ausruf aus und blieb wie angewurzelt stehen.
    »Meine liebe Miss Catherine«, begann ich, noch zu stark unter dem Eindruck ihrer kürzlich mir erwiesenen Freundlichkeit, als dass ich sie hätte schelten können, »wohin sind Sie zu dieser späten Stunde geritten? Und warum haben Sie versucht, mich zu täuschen, indem Sie schwindelten? Wo waren Sie? Sagen Sie es mir!«
    »Am Ende des Parkes«, stammelte sie. »Ich habe nicht geschwindelt.«
    »Und nirgends sonst?« fragte ich.
    »Nein«, war die gemurmelte Antwort.
    »O Catherine«, rief ich bekümmert. »Sie wissen, dass Sie etwas Unrechtes getan haben, sonst wäre es Ihnen nicht eingefallen, mir die Unwahrheit zu sagen. Das macht mich traurig. Lieber möchte ich drei Monate krank sein als Sie eine vorsätzliche Lüge aussprechen hören.«
    Sie lief auf mich zu, brach in Tränen aus und schlang die Arme um meinen Hals.
    »Ellen, ich habe solche Angst davor, dass du böse wirst«, sagte sie. »Wenn du mir versprichst, nicht böse zu werden, sollst du die ganze Wahrheit hören. Es ist mir schrecklich, sie zu verbergen.«
    Wir ließen uns auf dem Fenstersitz nieder; ich gab ihr die Zusicherung, dass ich nicht schelten werde, welcher Art ihr Geheimnis auch sei; denn natürlich ahnte ich es, und so begann sie:
    »Ich war in Wuthering Heights, Ellen, und ich habe keinen Tag versäumt, hinzugehen, seit du erkrankt warst, ausser dreimal, bevor du dein Zimmer verließest, und zweimal nachher. Ich habe Michael Bücher und Bilder gegeben, damit er Minny jeden Abend sattelte und in den Stall zurückführte, und vergiss nicht, du darfst auch ihn nicht schelten. Ich langte etwa um halb sieben oben an und blieb gewöhnlich bis halb neun, und dann galoppierte ich heim. Ich ging nicht zu meinem Vergnügen hin; manchmal war ich die ganze Zeit über unglücklich. Dann und wann war ich glücklich, vielleicht einmal die Woche. Anfänglich glaubte ich, es werde mich viel Mühe kosten, dich zu überreden, dass ich Linton mein Wort hielt; denn ich hatte ihm, als wir ihn verließen, versprochen, ihn am nächsten Tag wieder zu besuchen. Dadurch, dass du am anderen Morgen oben in deinem Zimmer bliebst, wurde ich dieser Sorge enthoben, und während Michael am Nachmittag das Schloss der Parktür ausbesserte, setzte ich mich in den Besitz des Schlüssels. Ich erzählte ihm, wie sehr mein Vetter sich wünscht, dass ich ihn besuche, weil er krank ist und nicht zu uns kommen kann, und wie sehr Papa dagegen ist. Und dann verhandelte ich mit ihm über das Pony. Er liest sehr gern, und er will bald weggehen, um zu heiraten. Darum erklärte er sich bereit, zu tun, was ich wollte, wenn ich ihm Bücher aus der Bibliothek leihen würde. Ich zog aber vor, ihm meine eigenen zu geben, und damit war ihm noch mehr gedient.
    Bei meinem zweiten Besuch schien Linton in angeregter Stimmung zu sein, und Zillah — das ist ihre Haushälterin räumte das Zimmer auf und machte uns ein gutes Feuer. Sie sagte uns, da Joseph zur Betstunde gegangen und Hareton Earnshaw mit den Hunden unterwegs sei — wie ich später erfuhr, hat er in unseren Waldungen Fasanen gejagt —, könnten wir tun, was wir wollten. Sie brachte mir Glühwein und Pfefferkuchen und machte einen ungemein liebenswürdigen Eindruck. Linton saß im Armsessel und ich in dem kleinen Schaukelstuhl vor dem Kamin; wir lachten und plauderten so vergnügt und hatten uns sehr viel zu sagen. Wir machten Pläne, wo wir im Sommer hingehen und was wir tun wollten. Ich brauche es nicht zu wiederholen, denn du fändest es albern.
    Einmal allerdings hätten wir uns beinahe gezankt. Er sagte, die schönste Art, einen heissen Julitag hinzubringen, sei, vom Morgen bis zum Abend auf einem Heidehügel mitten im Moor zu liegen, wenn die Bienen einschläfernd zwischen den Blüten summten, die Lerchen hoch über unseren Häuptern sängen und die Sonne ununterbrochen vom wolkenlosen blauen Himmel schiene. Das war seine vollkommenste Vorstellung von der himmlischen Seligkeit. Meine aber war, mich in einem rauschenden, grünen Baumwipfel zu wiegen; dabei müsste Westwind wehen, und leuchtend weisse Wolken müssten über mir schnell dahinziehen. Nicht nur Lerchen, auch Drosseln, Amseln, Hänflinge und Kuckucke müssten von allen Seiten ein Konzert veranstalten; in der Ferne müsste man das Moor sehen mit seinen kühlen, dunklen Tälern, nahebei aber

Weitere Kostenlose Bücher