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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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genauso wie damals, nur liebte er die Einsamkeit noch mehr und war vielleicht noch einsilbiger in Gesellschaft.
     
     

Vierunddreissigstes Kapitel
    NACH DIESEM ABEND vermied es Mr. Heathcliff ein paar Tage lang, uns bei den Mahlzeiten zu begegnen, wenn er auch nicht ausdrücklich bestimmt hatte, Hareton und Catherine von ihnen auszuschließen. Er hatte eine solche Abneigung dagegen, seinen Gefühlen nachzugeben, dass er sich lieber selber fernhielt, und es schien, als böte ihm eine einzige Mahlzeit am Tage ausreichend Nahrung.
    Eines Abends, als alle schon zu Bett gegangen waren, hörte ich ihn die Treppe hinabgehen und das Haus durch die vordere Tür verlassen. Ich hörte ihn nicht wieder hereinkommen, und am Morgen merkte ich, dass er immer noch nicht da war. Wir hatten damals April; das Wetter war mild und warm, das Gras so grün, wie Regenschauer und Sonnenschein es nur machen konnten, und die beiden Zwergapfelbäume an der Südwand des Hauses standen in voller Blüte. Nach dem Frühstück bestand Catherine darauf, dass ich mir einen Stuhl herausbrachte und mich mit meiner Arbeit unter die Kiefern an der Hausecke setzte. Und sie beschwatzte Hareton, der sich von seinem Unfall wieder ganz erholt hatte, ihren kleinen Garten abzustecken und umzugraben; er war auf Josephs Beschwerden hin in diese Ecke verlegt worden. Mit Behagen genoss ich den Frühlingsduft ringsum und das schöne sanfte Blau des Himmels über uns, als meine junge Herrin, die ans Tor hinunter gelaufen war, um Primelpflanzen für eine Beeteinfassung auszustechen, nur mit einer halben Ladung zurückkam und uns sagte, dass Mr. Heathcliff hineingegangen sei. »Und er hat mich sogar angesprochen«, setzte sie etwas verwirrt hinzu.
    »Was hat er gesagt?« fragte Hareton.
    »Er sagte mir, ich solle so schnell wie möglich verschwinden«, antwortete sie, »aber er sah so ganz anders aus als sonst, dass ich einen Augenblick stehenblieb und ihn anstarrte.«
    »Wie sah er aus?« erkundigte er sich.
    »Nun, fast strahlend und heiter. Nein, nicht nur fast, sondern sehr erregt, ausgelassen und froh«, antwortete sie.
    »Also gefällt ihm das Nachtwandeln«, warf ich ein und versuchte, sorglos dreinzuschauen. In Wirklichkeit war ich ebenso überrascht wie Catherine und sehr begierig darauf, ihre Beobachtung bestätigt zu finden; denn den Herrn heiter zu sehen, wäre kein alltäglicher Anblick gewesen. Ich suchte nach einem Grund, ins Haus zu gehen. Heathcliff stand an der offenen Tür, er war bleich und zitterte; aber trotzdem stand ein seltsam freudiges Leuchten in seinen Augen, das seinen ganzen Gesichtsausdruck veränderte.
    »Möchten Sie etwas Frühstück haben?« fragte ich ihn. »Sie müssen hungrig sein, nachdem Sie die ganze Nacht draussen unterwegs waren.« Ich wollte herausbekommen, wo er gewesen war, ohne geradezu danach zu fragen.
    »Nein, ich bin nicht hungrig«, antwortete er mit abgewandtem Gesicht in etwas verächtlichem Ton, als ob er erraten hätte, dass ich die Ursache seiner guten Stimmung erforschen wollte. — Ich war verwirrt und wusste nicht recht, ob jetzt die Gelegenheit zu einer kleinen Ermahnung war.
    »Ich halte es nicht für gut, die Nacht über draussen umherzulaufen, statt im Bett zu liegen. Auf jeden Fall ist es in dieser feuchten Jahreszeit nicht zu empfehlen. Ich fürchte, eine Erkältung oder ein Fieber ist bei Ihnen im Anzug; irgend etwas scheint Ihnen zu fehlen.«
    »Nichts, was ich nicht ertragen könnte«, erwiderte er, »und sogar mit dem grössten Vergnügen, wenn du mich allein lässt. Geh hinaus und ärgere mich nicht.« Ich gehorchte, und als ich an ihm vorbeiging, merkte ich, dass er so schnell atmete wie ein Kätzchen.
    ›Ja‹, überlegte ich mir, ›da werden wir wohl einen Krankheitsfall bekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, was er getrieben hat.‹
    Mittags setzte er sich zu Tisch mit uns und ließ sich einen gehäuften Teller von mir geben, als wenn er das vorangegangene Fasten wieder ausgleichen wollte.
    »Ich bin weder erkältet, noch habe ich Fieber, Nelly«, bemerkte er mit einer Anspielung auf unser Gespräch vom Morgen, »und ich habe die Absicht, deinem Essen Ehre anzutun.«
    Er nahm Messer und Gabel und wollte anfangen zu essen, als die Neigung dazu plötzlich nicht mehr vorhanden schien. Er legte das Besteck auf den Tisch und sah aufmerksam nach dem Fenster hinüber, dann stand er auf und ging hinaus. Während wir bei der Mahlzeit saßen, sahen wir, wie er im Garten hin und her ging, und

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