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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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gegessen hatte. Wenn er auf meine Vorstellungen hin seine Hand nach einem Stück Brot ausstreckte, schlossen sich seine Finger, bevor sie es berührt hatten, und blieben auf dem Tisch liegen, als hätten sie vergessen, was sie gewollt hatten.
    Mit großer Geduld saß ich bei ihm und versuchte seine abirrenden Gedanken von ihrer angespannten Grübelei abzulenken, bis er gereizt aufstand und mich fragte, warum er seine Mahlzeiten nicht dann einnehmen dürfe, wann es ihm passe. Weiter sagte er, das nächste Mal solle ich nicht warten, sondern ihm die Speisen hinsetzen und wieder gehen, und damit verließ er das Haus, schlenderte langsam den Gartenweg hinunter und ging zum Tor hinaus.
    Die Stunden schlichen angstvoll dahin, und wieder kam der Abend heran. Spät erst begab ich mich zur Ruhe und konnte dann nicht einschlafen. Er kam nach Mitternacht zurück und schloss sich, statt zu Bett zu gehen, im Zimmer unten ein. Ich horchte und warf mich im Bett hin und her, zuletzt kleidete ich mich an und ging hinunter. Ich war es überdrüssig, da oben zu liegen und mein Gehirn mit hundert müssigen Befürchtungen zu plagen.
    Unten hörte ich Mr. Heathcliffs Schritte in rastlosem Hin und Her auf den Steinfliesen; häufig unterbrach er die Stille durch ein tiefes Atemholen, das eher einem Stöhnen glich. Er murmelte auch unzusammenhängende Worte vor sich hin; das einzige, was ich davon verstehen konnte, war der Name Catherine in Verbindung mit wilden Zärtlichkeiten oder Schmerzausbrüchen, die so gesprochen waren, als sei die Person gegenwärtig, auf die sie sich bezogen: halblaut und ernst, aus tiefster Seele kommend. Mir gebrach der Mut, einfach in das Zimmer zu treten, aber ich wollte ihn aus seinen Phantasien aufwecken, und so verfiel ich auf das Küchenfeuer; ich schürte es und fing an, die Asche wegzuräumen. Das lockte ihn schneller zu mir hin, als ich erwartet hatte; er öffnete beim ersten Geräusch die Tür und sagte: »Nelly, komm her! Ist es Morgen? Komm mit deinem Licht herein!«
    »Eben schlägt es vier Uhr«, antwortete ich. »Sie suchen eine Kerze, um hinaufzugehen? Sie hätten hier am Feuer eine anzünden können.«
    »Nein, ich will gar nicht hinaufgehen«, sagte er. »Komm herein und zünde mir ein Feuer an und bringe das Zimmer in Ordnung.«
    »Ich muss erst die Glut anblasen, ehe ich Ihnen welche bringen kann«, erwiderte ich und holte mir einen Schemel und den Blasebalg.
    Inzwischen wanderte er ruhelos hin und her in einem Zustand, der an Geistesgestörtheit grenzte; seine tiefen Seufzer jagten einander in so rascher Folge, dass normale Atemzüge kaum noch dazwischenlagen.
    »Sobald es Tag wird, will ich zu Green schicken«, sagte er, »um ihm einige Rechtsfragen vorzulegen, solange ich mich noch mit solchen Dingen befassen und solange ich ruhig verfügen kann. Ich habe noch kein Testament aufgesetzt und kann zu keinem Entschluss kommen, wem ich mein Besitztum hinterlassen will. Am liebsten vertilgte ich es vom Erdboden.«
    »So dürfen Sie nicht sprechen, Mr. Heathcliff!« warf ich ein. »Lassen Sie Ihr Testament noch eine Weile ruhen. Sie haben noch viel Zeit, um Ihre vielen Ungerechtigkeiten zu bereuen. Ich hätte nie gedacht, dass Ihre Nerven einmal nachgeben könnten; aber im Augenblick sind sie sehr erschüttert, und fast allein durch Ihre eigene Schuld. Ihre Lebensweise während der letzten drei Tage hätte die Gesundheit eines Riesen untergraben können. Nehmen Sie etwas zu sich, und ruhen Sie danach. Sie brauchen nur in den Spiegel zu sehen, um zu wissen, wie nötig Sie beides haben. Ihre Wangen sind eingefallen und Ihre Augen blutunterlaufen wie bei einem Menschen, der vor Hunger fast umfällt und vor Schlaflosigkeit beinahe nicht mehr sehen kann.«
    »Es ist nicht meine Schuld, dass ich keine Ruhe finde und nichts essen kann«, erwiderte er. »Ich versichere dir, dass ich es nicht absichtlich tue. Ich werde essen und schlafen, sobald es mir möglich ist. Aber du könntest ebensogut von einem Mann, der gegen das Ertrinken kämpft, verlangen, er solle in einem Meter Abstand vom Ufer bleiben. Erst muss ich am Ufer sein, dann kann ich ruhen. Mach dir keine Gedanken um Mr. Green; und was meine Ungerechtigkeiten anlangt, ich habe keine begangen, und ich bereue nichts. Ich bin unsäglich glücklich, und doch noch nicht glücklich genug. Meine innere Seligkeit tötet meinen Körper ab und tut sich trotzdem nicht Genüge.«
    »Sehigkeit, Herr?« rief ich. »Das ist eine seltsame Seligkeit! Wenn Sie auf

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