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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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Erniedrigung, unter denen er aufgewachsen war; und Catherines aufrichtig gemeintes Lob spornte seinen Fleiss immer mehr an. Sein klarer werdender Geist hellte seine Gesichtszüge auf und verlieh ihnen Ausdruck und Adel. Ich konnte kaum fassen, dass dies derselbe Mensch war, dem ich damals gegenübergetreten war, als ich meine kleine Herrin, nach ihrem Ausflug zur Felsenklippe von Penistone, in Wuthering Heights wiedergefunden hatte. Während ich stumm bewundernd dasaß und sie zusammen arbeiteten, brach die Dämmerung herein, und mit ihr kehrte der Herr zurück. Er kam ganz überraschend für uns durch die Vordertür herein und konnte uns alle drei genau beobachten, ehe wir nur die Köpfe zu ihm aufheben konnten. Nun, überlegte ich, es gab wohl kein freundlicheres oder harmloseres Bild, und es wäre eine Schmach und Schande gewesen, sie zu schelten. Das rote Licht des Feuers leuchtete über ihre hübschen Köpfe und belebte ihre Gesichter, die in kindlichem Wissensdurst strahlten; denn obwohl er dreiundzwanzig und sie achtzehn Jahre alt war, hatte jedes von ihnen so viel Neues zu lernen und in sich aufzunehmen, dass keinem von ihnen die Nüchternheit oder Entzauberung der Reife eigen war.
    Sie erhoben beide ihre Augen zu denen Mr. Heathcliffs. Vielleicht haben Sie niemals bemerkt, dass sie genau die gleichen Augen haben, nämlich die Catherine Earnshaws. Die junge Catherine ähnelte ihr sonst nicht, abgesehen von der Breite der Stirn und einem gewissen Schwung der Nasenflügel, der ihr etwas Hochmütiges gibt, ob sie will oder nicht. Bei Hareton ist die Ähnlichkeit ausgesprochener; sie ist immer da, aber in diesem Augenblick war sie besonders auffallend, weil sein Verstand aufgeweckt und seine geistigen Fähigkeiten zu ungewohnter Tätigkeit angeregt waren. Ich glaube, diese Ähnlichkeit entwaffnete Mr. Heathcliff; er trat in offensichtlicher Erregung zum Kamin; doch legte sie sich schnell, als er den jungen Mann ansah, oder ich möchte besser sagen: sie veränderte ihren Charakter, denn sie war immer noch vorhanden. Er nahm ihm das Buch aus der Hand und überblickte die aufgeschlagene Seite; dann gab er es wortlos zurück und bedeutete Catherine nur durch ein Zeichen, fortzugehen. Hareton blieb nur noch eine kurze Zeit nach ihrem Verschwinden, und ich war ebenfalls im Begriff, mich zurückzuziehen, aber er wünschte, dass ich bei ihm sitzenbliebe.
    »Nicht wahr, das ist ein armseliger Abschluss?« bemerkte er, nachdem er eine Weile über das soeben Erlebte gegrübelt hatte, »ein lächerliches Ende meiner heftigen Bemühungen! Mit Hebeln und Hacken hatte ich es unternommen, die beiden Häuser zu zerstören, und habe eine wahre Herkulesarbeit dabei geleistet, und nun, da alles vollendet und die Macht in meinen Händen ist, merke ich, dass mir der Wille fehlt, auch nur einen einzigen Schiefer von ihren Dächern wegzunehmen. Meine alten Feinde haben mich nicht besiegt; jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, mich an ihren Nachkommen zu rächen. Ich könnte es tun, und niemand würde mich daran hindern. Aber was käme dabei heraus? Ich habe keine Lust mehr, zuzuschlagen; es lohnt mir nicht die Mühe, die Hand aufzuheben. Das klingt, als hätte ich die ganze Zeit nur auf das Ziel hingearbeitet, um jetzt eine schöne Geste der Großmut zu machen. Das ist ganz und gar falsch: ich habe die Freude an ihrer Vernichtung verloren, und ich bin zu träge, etwas zwecklos zu zerstören. Nelly, es geht eine seltsame Verwandlung vor, ich stehe schon in ihrem Schatten. Ich habe so wenig Interesse an meinem irdischen Leben, dass ich Essen und Trinken vergesse. Die beiden, die eben hinausgegangen sind, scheinen das einzige zu sein, was eine bestimmte körperhafte Erscheinung für mich behalten hat, und diese Erscheinung verursacht mir Schmerz, der sich zur Qual steigert. Über sie will ich nicht reden, und ich möchte auch nicht an sie denken; ich wünschte ernstlich, sie wäre unsichtbar, ihre Gegenwart beschwört Empfindungen herauf, die mich verrückt machen. Er berührt mich anders — aber wenn ich es tun könnte, ohne geistesgestört zu erscheinen, so würde ich ihn nie wieder sehen wollen. Vielleicht würdest du denken, ich sei auf dem Wege dazu«, fügte er mit einem Anflug von Lächeln hinzu, »wenn ich dir die tausend Arten früherer Gedankenverbindungen und Vorstellungen zu beschreiben versuchte, die er erweckt oder verkörpert. Aber du sprichst nicht über das, was ich dir sage, und mein Geist ist so völlig in sich

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